Ophran 3 Die entflohene Braut
entgehen, Amelia“, sagte er barsch. „Und Ihr Vermögen war auch nicht der Grund, wa rum ich versucht habe, Sie vor Philmore zu schützen, der es nicht wert ist, in den Ställen Ihres Vaters Mist zu schaufeln, ganz zu schweigen davon, Sie zu heiraten. Ich habe Sie auch nicht vor dem Pöbel auf Wilkinsons Ball gerettet und auf ei nem meiner Schiffe versteckt, weil ich hoffte, finanziell da von profitieren zu können. Es ist mir völlig gleich, ob Sie Geld haben oder nicht, und es gibt gewiss noch andere Menschen in Ihrem Leben, denen es auch einerlei ist. “
„Nein, die gibt es nicht“, flüsterte sie mit bitterer Gewissheit.
„Dann werden wir neue Freunde für Sie finden. Nun, da Sie kein Geld mehr haben, können Sie sicher sein, dass jeder, der sich um Ihre Freundschaft bemüht, es um Ihretwillen tut, nicht wegen des Vermögens Ihres Vaters. “
„Das wäre möglich gewesen, wenn mein Vater keine so riesige Summe für mein Auffinden ausgelobt hätte. Bei zehntausend Pfund Belohnung werde ich niemals irgendjemandem trauen können. “
„Sie können mir trauen! “ Jack sprach die Worte mit scharfem Nachdruck aus.
Amelia sah ihn verwundert an. Er stand neben ihr, und der Umriss seines halb nackten Körpers hob sich von den verblassenden Schatten der Nacht und dem samtigen Licht ab, das durch das Fenster fiel. Groß und mächtig stand er da und erfüllte die kleine Kajüte mit seiner Kraft und Entschlossenheit. Amelia fand ihn hinreißend schön. Seine wie gemeißelt wirkenden Muskeln waren angespannt, als sei er bereit, sich für sie in den Kampf zu stürzen, und aus seinem Blick sprach unbeugsame Willenskraft.
In diesem Augenblick konnte sie beinahe glauben, dass er alles für sie tun würde. Sie spürte sein Versprechen durch die Stille hindurch, so wie sie die seltsame Empfindung spürte, die ihr Blut in Wallung und ihre Haut zum Glühen brachte und die ihr jäh bewusst machte, wie wenig Raum sie von dem Mann trennte, der ihr wieder und wieder zu Hilfe gekommen war, seit er sie bei dem lächerlichen Versuch ertappt hatte, seine Kutsche zu stehlen.
„Warum? “ flüsterte sie und guckte ihm in die Augen. „Warum werden Sie nicht müde, mir zu helfen? “
Jack schaute sie einen Moment lang schweigend an. Die Decke, in die Amelia sich gehüllt hatte, war hinabgerutscht, und er bemerkte, dass sie eines seiner Hemden trug. Es war viel zu weit für ihren zarten Körper, und sie wirkte darin klein, zierlich und atemberaubend schön. Ihr champagnerfarbenes Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern, und der geöffnete Hemdkragen offenbarte ihren schlanken weißen Hals. Jack hatte sie betörend gefunden, als sie am frühen Abend auf der Marmortreppe gestanden und alle anderen Frauen im Saal mit ihrer vollendeten Eleganz in den Schatten gestellt hatte. Doch so, wie sie jetzt aussah, erschien sie ihm noch viel schöner: Ihr Haar war offen, und statt eines Ballkleids trug sie nur ein schlichtes Leinenhemd, dessen einziger Makel darin bestand, dass es zu weit war und Jack so des Vergnügens beraubte, die schwellenden Rundungen ihres verführerischen Körpers zu betrachten.
Er schluckte, wich einen Schritt zurück und bemühte sich, das Feuer zu ignorieren, das plötzlich in seinen Lenden loderte.
Amelia saß zusammengekauert auf seinem schmalen Bett und wartete auf seine Antwort. Was kann ich ihr sagen, überlegte er hilflos. Dass er nur zu gut verstand, wie verzweifelt jemand war, der sich zu einem Leben verurteilt sah, das er nicht glaubte ertragen zu können? Damit würde er Amelia nur zu weiteren Fragen Anlass geben; Fragen, die er nicht beantworten wollte. Eine Frage würde die nächste nach sich ziehen, und am Ende wäre er gezwungen zu gestehen, dass er nicht der Mann war, für den sie ihn hielt. Dass er nicht der verwöhnte Sohn des Marquess of Redmond war, als den sie ihn kannte, sondern der verlassene Bankert einer versoffenen Hure. Dass er den Großteil seiner Kindheit von dem Rohling grün und blau geprügelt worden war, in dessen Obhut seine hoffnungslos überforderte Mutter ihn gegeben hatte, bis er es eines Tages nicht länger ertragen hatte. Dass er eine Schaufel genommen und dem alten Schurken mit solcher Wucht eins über den Schädel gegeben hatte, dass der Kerl tot umgefallen war, was ihn im zarten Alter von neun Jahren zum Mörder gemacht hatte. Dass er sein Leben danach auf der Straße verbracht und jeden bestohlen hatte, der dumm genug war, sich ausrauben zu lassen.
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