Ophran 3 Die entflohene Braut

Nacht“, fügte sie mühsam in kühlem Ton hinzu, denn er sollte nicht merken, wie tief er sie verletzt hatte.
    Jack beobachtete sie, als sie den Raum verließ. Mit Amelia verschwanden auch die Wärme, die Freude und das Leben. Er schenkte sich ein Glas Whisky ein und wandte sich zum Fenster. Im Licht der Öllampen spiegelte sich sein Gesicht auf den regennassen Scheiben. Er betrachtete sich angewidert, hob die Hand und fuhr mit dem Finger über die gezackte Narbe auf seiner Wange.
    Dann leerte er sein Glas in einem Zug und schleuderte es in hilflosem Zorn gegen den Kamin.

9. KAPITEL
    In den folgenden zwei Tagen bekam Amelia ihren Gastgeber nicht zu Gesicht. Jack stand bei Tagesanbruch auf, verließ das Haus, bevor sie erwachte, und kam zurück, wenn sie bereits zu Bett gegangen war. Oliver sagte, Jack müsse sich um die Geschäfte seiner Reederei kümmern, die durch die Zerstörung der „Liberty“ einen empfindlichen Verlust erlitten hatte. Amelia konnte sich gut vorstellen, dass die „North Star Shipping“ Jacks volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, schließlich hatte sie ihren eigenen Vater oft wochenlang kaum gesehen, wenn seine Geschäfte dies verlangten. Dennoch wurde sie den Verdacht nicht los, dass Jack ihr absichtlich aus dem Weg ging. Angesichts der tiefen Erniedrigung, die dem jähen Ausbruch der Leidenschaft zwischen ihnen gefolgt war, hätte sie dankbar sein sollen, dass ihr die Peinlichkeit einer Begegnung mit ihm erspart blieb. Stattdessen fühlte sie sich, als habe sie ihren einzigen Freund verloren.
    „So, jetzt, wo das Fleisch und der Markknochen gekocht haben, schöpfen Sie den Schaum ab“, wies Eunice sie an und drückte Amelia eine Schöpfkelle in die Hand. „Und geben Sie Acht, Mädchen, dass Sie sich nicht an dem heißen Dampf verbrühen! “
    Amelia zog angestrengt die Brauen zusammen, während sie behutsam löffelweise fettigen grauen Schaum von der Fleischbrühe schöpfte, den sie dann in eine Schüssel gab. „Warum haben wir den Markknochen hineingetan, wenn wir dieses ganze Fett nicht wollen? “
    „Er verleiht Geschmack“, erklärte Eunice. „Das Lammfleisch selbst hat nicht genug, die wahre Würze sitzt in den  Knochen. Das ist bei jedem Fleisch so, ganz gleich, ob Rind, Huhn oder Hase. Man muss stets die Knochen auskochen, damit die Brühe herzhaft wird. “
    „Eunice macht den besten Eintopf in ganz Schottland“, schwärmte Oliver, der damit beschäftigt war, gläserweise Essig in einen alten schwarzen Topf zu gießen.
    „Diesen Lamm-Gemüse-Eintopf hier nennen wir Hotch-potch“, erläuterte Eunice.
    „Der und ihr Haggis, das ist gefüllter Hammelmagen, sind in ganz Inverness berühmt“, prahlte Oliver.
    „Aha, das wusste ich ja gar nicht. “ Eunice’ gerötete Wangen ließen keinen Zweifel daran, dass sie sich über sein Kompliment freute. „Seine Lordschaft mag Haggis nicht so besonders, deshalb mache ich es nur, wenn die Kinder zum Essen kommen. Sie sind mit Haggis, Kartoffeln und Erbsen aufgewachsen. Mittlerweile sind sie zwar feine Leute geworden, doch wenn sie nach Hause kommen, freuen sie sich auf gute, deftige Hausmannskost. “
    „Wo ist ihr Zuhause? “ fragte Amelia, noch immer mit dem Abschöpfen des Fetts beschäftigt.
    „Seine Lordschaft und Miss Genevieve besitzen ein Anwesen etwa zehn Meilen von hier entfernt“, sagte Doreen, die gerade eine Steckrübe bürstete. „Wir sind alle dorthin gezogen, nachdem sie geheiratet haben. Wir hatten eine schöne Zeit, und die sechs Kinder dachten alle, sie wären im Paradies gelandet, als sie auf einmal an einem so großartigen Ort lebten. Es war eine große Umstellung für sie, nach all dem, was sie durchgemacht hatten. Noch fast ein Jahr lang schliefen sie in nur drei Schlafzimmern, obwohl es Platz genug gab und sie jeder ein eigenes Zimmer hätten haben können. “
    Oliver kicherte. „Es hat sie beruhigt, einander nahe zu sein. “
    „Nur Jack war anders“, bemerkte Eunice. „Er war älter als die anderen und froh darüber, ein eigenes Zimmer zu haben. “
    Amelia hielt verwirrt mit ihrer Arbeit inne. Sie hatte geglaubt, Jack und seine Geschwister seien die leiblichen Kinder von Lord und Lady Redmond, doch das war offenbar nicht der Fall. „Dann war Jacks Mutter verheiratet, bevor sie  seinem Vater begegnete? “
    „Sie wäre es beinahe gewesen“, entgegnete Oliver und gab je anderthalb Tassen Melasse und Elfenbeinschwarz in seinen Topf. „Doch als der kleine Jamie kam, löste der