Optimum 1
hässlichen Baby, wie Rica fand. Den Klamotten und der Tapete nach zu urteilen, musste das Kind irgendwann in den Siebzigern geboren worden sein.
So alt wie meine Mutter, dachte Rica und fragte sich, warum Frau Jansen eine so alte Fallakte mit sich herumtrug. Was wollte sie damit? Sie blätterte weiter, stieß auf die Geburtsurkunde des Jungen und hätte sie beinah beiseitegelegt, als irgendetwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie nahm den Zettel wieder in die Hand und las ihn noch einmal.
Thomas Rausner, geboren 21. 03. 1970. Die Namen der Eltern waren geschwärzt, aber der Name des Jungen … Er kam Rica bekannt vor. Aber warum? Wo hatte sie den Namen schon mal gehört?
Rica schloss die Augen und dachte nach. Sie versuchte, sich die Situation ins Gedächtnis zu rufen, in der sie dem Namen begegnet war. Sie war sich sicher, dass es hier an dieser Schule gewesen war, also noch gar nicht so lange her.
Thomas Rausner …
Thomas Rausner.
Eine Kindergruppe stürmte den Fußballplatz am anderen Ende der Wiese, und lautes Geschrei und Gelächter gellten durch die Nachmittagsluft. Rica schlug die Augen wieder auf und starrte auf den Platz hinunter, der sich jetzt mit einer ganzen Menge Unterstufler gefüllt hatte. Und da wusste sie es wieder. Das Geschrei und Gelächter erinnerte sie an den Tag, an dem sie hier angekommen war. Als sie sich mit Jo und Eliza unterhalten hatte und sie dann von Frau Jansen unterbrochen worden waren.
Und Frau Jansen hatte Rica Fragen gestellt. Unter anderem auch, ob sie einen Thomas Rausner kenne.
Rica blinzelte auf die Akte hinunter. Warum sollte sie jemanden kennen, der so viel älter war als sie selbst. Wer sollte er sein? Ein Lehrer?
Sie schlug die Seite mit dem Babyfoto noch einmal auf, aber das sagte ihr natürlich gar nichts. Es war einfach irgendein Baby und sah niemandem, den Rica kannte, besonders ähnlich. Sie seufzte und blätterte weiter.
Es kam nicht mehr viel. Nur noch einige Seiten mit Ergebnissen von ärztlichen Untersuchungen, ein paar Berichte über die körperliche Entwicklung des Jungen und dann nichts mehr. Die letzte Seite enthielt eine Tabelle mit Blutwerten und war auf Dezember 1972 datiert, da war der Junge gerade mal zweieinhalb Jahre alt gewesen. Aber entweder hatten die Untersuchungen danach aufgehört, oder die Ergebnisse waren in einer anderen Akte untergebracht worden. Das hielt Rica jedoch für unwahrscheinlich. Sie hätte zumindest erwartet, dass dann hier so eine Art Abschlussbericht abgeheftet sein würde. Vielleicht hatte jemand einfach die letzten Blätter entfernt.
Enttäuscht starrte Rica auf die letzte Seite. Dieses Dokument brachte ihr überhaupt nichts. Alles, was sich in dem Hefter befand, war uralt und hatte nichts mit Jo zu tun oder mit der Schule, oder mit irgendetwas von dem, was hier vorging. Schon wieder eine Spur, die ins Leere lief.
Sie wollte die Mappe schon wieder zuschlagen, als ihr der Umschlag mit den Fotos wieder auffiel. Nun gut, es konnte nicht schaden, wenn sie gründlich vorging. Sie konnte die Bilder ja wenigstens kurz durchsehen. Also schlug sie die Klappe zurück und zog den Stapel Farbfotos heraus. Die Fotos waren nicht so alt wie der Inhalt der Akte. Schon allein die Klamotten der abgebildeten Leute deuteten darauf hin. Rica schätzte, dass die Aufnahmen höchstens zwanzig Jahre alt waren, wenn überhaupt. Sie erkannte den Modestil ihrer Kindheit auf den Bildern wieder.
Auf vielen der Bilder war ein und derselbe Mann zu sehen. Er war groß und blond und kam Rica irgendwie bekannt vor. Es dauerte ein bisschen, bis sie sich wieder erinnerte. Der Kerl war aus dem Auto gestiegen, das Torben abgeholt hatte. Auf den Bildern war er in den unterschiedlichsten Gegenden abgebildet. Es waren Schnappschüsse, keine gestellten Bilder, und wenn Rica irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen wollte, was der Beruf des Mannes war, dann hätte sie vermutlich gesagt: Extremsportler. Mal war er kletternd abgebildet, mal mit Campingausrüstung, mal auf Skiern. Und vereinzelt in Klamotten, die gut in einen Spionagefilm gepasst hätten.
Ziellos flippte Rica durch die Fotos, bis sie ganz zum Schluss auf ein paar Aufnahmen stieß, die offensichtlich nicht in diese Serie gehörten. Erstens waren sie noch neuer, wahrscheinlich höchstens ein paar Jahre alt, zum anderen waren andere Menschen darauf abgebildet. Die ersten paar Bilder sagten ihr gar nichts: Leute in weißen Laborkitteln und immer mal wieder ein älterer Herr in einem grauen Anzug,
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