Optimum 1
mitzunehmen.
»Okay«, meinte er. »Aber wenn du meine Hilfe brauchst …« Er zögerte. »Ich bin wirklich auf deiner Seite, Rica.«
Die Schmetterlinge wurden immer hektischer, und Rica spürte, wie ihre Wangen warm wurden.
»Wir sehen uns«, flüsterte sie. »Und dann fangen wir neu an. Besser. Versprochen.«
Sie musste jedes bisschen Überwindung zusammenkratzen, sich umzudrehen und den Hang hinunterzugehen.
* * *
Sie konnte einfach keine Ruhe finden. Eliza streifte ziellos durch den Park, umrundete das Schulhaus, ging die Einfahrt entlang Richtung Haupttor. Sie fühlte sich nutzlos und verloren. Torben hatte sie abblitzen lassen. Zwar hatte sie ihn noch eingeholt, bevor er in sein Zimmer verschwinden konnte, aber er hatte sich schlicht geweigert, sich ihr anzuvertrauen. Er hatte weder gesagt, wo er gewesen war, noch, was man dort mit ihm gemacht hatte. Selten war sich Eliza dermaßen blöd und nutzlos vorgekommen. So ohne jegliche neue Information hatte sie nicht zu Rica zurückgehen wollen und war stattdessen auf ihr Zimmer gegangen, um zu lesen.
Und dann war Rica überfallen worden.
Inzwischen wusste es die ganze Schule, Janina und ihre beiden Freunde liefen herum und gaben ungeniert damit an. Seltsamerweise sagten die Lehrer dazu überhaupt nichts, und auch die anderen Schüler, selbst Ricas Freunde, schwiegen.
Eliza schwieg ebenfalls. Sie wollte keinen Ärger mit Janina bekommen, dafür hatte sie zu viel Angst vor ihr. Aber trotzdem: Sie hätte jetzt bei Rica sein sollen. Schließlich war sie ihre Freundin. Oder nicht?
Gib’s zu, du hast dich in letzter Zeit nicht gerade wie eine Freundin verhalten.
Eliza biss sich auf die Unterlippe.
Ein Fußweg zweigte von der Einfahrt ab, ein mit Platten ausgelegter Weg, der mit einer Kette abgesperrt war. »Einsturzgefahr. Betreten verboten«, stand auf dem Schild. Eliza blieb stehen und sah es an. Der Weg führte zur Vorderseite der alten Musikhalle, und plötzlich verspürte sie das übermächtige Bedürfnis, dort hinzugehen. Vielleicht in Gedenken an Jo. Vielleicht, um sich selbst zu beweisen, dass sie doch nicht aufgeben würde.
Kurzerhand stieg sie über die Kette und betrat den Weg. Schatten umfingen sie. Die Sträucher standen eng beisammen und ließen ihre Äste über den Weg hängen, zwischen den Platten wucherten Gras und Unkraut. Das Ganze wirkte mehr wie ein dämmriger grüner Tunnel als ein richtiger Weg. Das Dämmerlicht und die Stille zwischen den Büschen waren so unheimlich, dass Eliza unwillkürlich ihre Schritte beschleunigte. Sie wollte nur noch hier heraus, wieder ins Sonnenlicht.
Sie beeilte sich so sehr, dass sie die Gestalt, die vor der Musikhalle auf den Stufen saß, schlichtweg übersah. Erst als die andere erschrocken aufsprang, wurde Eliza klar, dass sie nicht allein war.
»Alina!« Unwillkürlich machte sie selbst einen Schritt rückwärts.
»Musst du dich so anschleichen?«, fauchte die Ältere. Eliza wollte schon zurückfauchen, doch dann merkte sie, dass Tränen in Alinas Augen standen.
»Tut mir leid«, erwiderte sie ein wenig kleinlaut. »Ich wusste ja nicht, dass du hier bist. Ich wollte nur … « Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Vor allem, weil sie selbst nicht genau wusste, warum sie eigentlich hier war.
»Schon okay«, murmelte Alina und sah zu Boden. Aus ihrem blonden, strengen Pferdeschwanz hatten sich einige einzelne Haare gelöst und fielen ihr jetzt wirr in die Stirn. Sie sah unglücklich aus.
Eliza spürte Mitleid in sich aufsteigen. »Warum bist du hier?«, fragte sie vorsichtig. »Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?«
Alina zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht«, sagte sie. »Niemand kann mir noch helfen. Zumindest … ach egal.« Sie griff in ihre Jeanstasche und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor, das sie Eliza hinhielt.
Eliza nahm das Papier und faltete es auseinander. Es war ein offizieller Brief von der Daniel-Nathans-Akademie, und er war an Alinas Eltern adressiert.
»Sehr geehrte Frau Kallberg, sehr geehrter Herr Kallberg … «, begann der Brief. Eliza überflog den restlichen Text. Es dauerte eine Weile, bis sie es wagte, aufzublicken und Alina ins Gesicht zu sehen.
»Sie wollen dich rauswerfen?« Ihre Stimme war nur ein leises Piepsen, und sie verabscheute sich gleich dafür.
Alina zuckte mit den Schultern. »Siehst du doch. Meine ›Leistungen sind nicht zufriedenstellend für den hohen Standard, den die Daniel-Nathans-Akademie setzt‹. So ein Bullshit.
Weitere Kostenlose Bücher