Optimum 1
doch dann, ganz hinten, stieß sie auf zwei Aufnahmen, die sie stutzen ließen.
Die Bilder waren offensichtlich in einem Restaurant mit Terrasse aufgenommen worden, jedenfalls saßen die Menschen darauf in einer gemütlichen Runde um Tische mit Sonnenschirmen herum. Zum größten Teil handelte es sich um die Leute von den vorherigen Bildern, nur trugen sie jetzt Freizeitkleidung und ein breites Lächeln zur Schau. Doch an einem der hinteren Tische entdeckte Rica zwei Gesichter, die sie kannte.
Zwei Frauen, die gemütlich zusammensaßen und Kaffee tranken, wenn man das aus den Tassen vor ihnen schließen durfte. Eine davon trug ihr blondes Haar schulterlang und offen, und selbst ihre Freizeitkleidung wirkte überaus elegant und ein wenig unterkühlt. Die andere hatte ihre Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt und trug ein weites, kariertes Hemd über einer Jeans.
Frau Jansen.
Und Andrea Bennett.
Rica blinzelte, hob das Foto näher vor ihre Augen und sah sich die Gesichter genauer an. Sie konnte es nicht recht glauben, aber da waren die beiden. Zusammen an einem Tisch, auf einem Betriebsausflug mit all den Laborfuzzis und Anzugträgern.
Rica ließ das Foto sinken und schüttelte den Kopf. Was die beiden wohl miteinander zu schaffen hatten? Sie strich mit dem Finger über die glatte Oberfläche des Fotos und überlegte.
Wenn Andrea irgendwie mit Frau Jansen in Verbindung stand, dann gab es dafür höchstwahrscheinlich einen guten Grund. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Therapeutin einfach so aus Sympathie mit ihrer Kletterlehrerin auf einen Ausflug fuhr. Aber was hatte Andrea, das Frau Jansen interessieren könnte? Ihre Klettererfahrung konnte es wohl kaum sein, die Therapeutin sah nicht so aus, als sei sie an einem Bergurlaub interessiert.
Aber da gab es natürlich noch etwas anderes.
Rica biss sich auf die Unterlippe und kaute nachdenklich darauf herum, als ihr klar wurde, was es war, das Andrea zu bieten hatte. Woche für Woche war sie mit den Schülern der Daniel-Nathans-Akademie zusammen. Woche für Woche traf sie sich mit ihnen in einer entspannten, ganz und gar unschulischen Umgebung. Sie kannte jeden Einzelnen in der Kletter-AG, und wenn Rica darüber nachdachte, dann hatte Andrea schon immer ziemliches Interesse an den Schülern gezeigt. Sie lud sie geradezu dazu ein, ihre Probleme mit ihr zu teilen, erkundigte sich nach Hausaufgaben und Schulkameraden und Erlebnissen in der Stadt. Rica hatte ihr Benehmen immer für sehr freundlich und teilnahmsvoll gehalten, doch das Bild hier rückte alles in ein ganz anderes Licht. War Andrea eine Art Spitzel?
Rica biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. Sie konnte ihren Ärger kaum zurückhalten. Sie hatte Andrea immer für jemanden gehalten, der letztendlich überhaupt nicht an ihren Leistungen interessiert war oder daran, ob sie die Schulregeln wortgetreu befolgten. Doch alles, was an Andreas Ohren gelangte, landete mit ziemlicher Sicherheit früher oder später bei Frau Jansen, das war Rica nun klar.
Und noch etwas.
Jo.
Jo hatte private Kletterstunden bei Lars genommen. Jo hatte sicher mit ihm gesprochen, über ihre Probleme und über ihre Gedanken. Was, wenn Andrea in der Nähe gewesen war? Wenn sie gehört hatte, was Jo dachte und fühlte, wenn sie mitbekommen hatte, dass Jo sicher war, etwas herausgefunden zu haben?
Steckte Lars etwa auch mit drin? Rica schluckte. Sie mochte Lars, er war nett zu ihr gewesen. War das alles nur gewesen, um zu vertuschen, was mit Jo passiert war?
Und was war überhaupt mit Jo passiert? War es etwas, das Frau Jansen ihr angetan hatte? Und wenn ja – wussten Andrea und Lars etwas davon?
Rica erhob sich und schob die Akte nachlässig ins Dickicht unter ein paar tief hängende Brombeerzweige. Es gab nur eine Möglichkeit, mehr herauszufinden: Sie musste mit den beiden reden. Oder zumindest mit Lars. Lars würde sie verstehen. Er würde ihr erklären, was vorgefallen war.
Jedenfalls hoffte Rica das.
Sie war gerade aus dem Schatten der Bäume und wieder auf den Weg hinaus getreten, als sie Schritte hinter sich hörte. Ihre Mutter musste ihr gefolgt sein, sie gesucht haben. Rica blieb stehen und drehte sich um, eine entsprechende Ausrede schon parat.
Aber es war nicht ihre Mutter.
Es war Robin.
Er hielt inne, als sie sich zu ihm umwandte, fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und sah Rica lange an. Dieses Mal versuchte er nicht einmal ein Lächeln, er sah einfach nur traurig und
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