Optimum 1
Blaumännern kamen und alles ausgeräumt haben. Ich dachte, dass es ganz interessant sein könnte. Falls jemand herausfinden möchte, was mit Jo passiert ist.« Sie wurde nicht einmal rot, aber Eliza war sich dennoch sicher, dass sie log. Sie hatte das Tagebuch aus reiner Neugier an sich genommen, und das wahrscheinlich bereits, bevor irgendjemand überhaupt daran gedacht hatte, Jos Sachen zu durchsuchen.
»Nimm schon. Vielleicht hilft es euch ja. Auch wenn ich nicht sehe, wie. Wenn du mich fragst, dann hat Jo sich da etwas zusammengesponnen.« Eliza merkte, dass sie die ganze Zeit einfach nur schweigend auf das Buch gestarrt hatte, ohne es zu nehmen. Alina hielt es ihr immer noch entgegen. Eliza streckte zögernd die Hand danach aus. Der Einband fühlte sich abgegriffen und glatt unter ihren Fingern an, als habe Jo das Buch ständig mit sich herumgetragen.
»Danke«, brachte sie hervor. »Wenn es dir nichts ausmacht … Wenn du es bitte niemandem erzählen würdest … «
Alina lachte. »Nachdem ich es geklaut habe? Ich werde mich hüten, es jemandem zu sagen, mach dir keine Sorgen.« Mit einer schwungvollen Bewegung setzte sie ihren Rucksack wieder auf den Rücken. »Ich geh jetzt wohl besser. Dann kannst du in Ruhe lesen.« Sie wandte sich dem Pfad zu, der in Richtung Schule führte. Im nächsten Moment war sie zwischen den Büschen und Bäumen verschwunden. Eliza sah ihr nach, bis sie ihre Schritte nicht mehr hören konnte. Dann senkte sie ihren Blick wieder auf das Buch in ihrer Hand. Jos Tagebuch. Alles in Eliza sagte ihr, dass sie der Inhalt überhaupt nichts anging. Es war Jos Privatsache, was sie darin aufgeschrieben hatte. Aber andererseits – wie sollten sie sonst herausfinden, was wirklich passiert war. Wenn es auch nur den kleinsten Hinweis darin gab und sie ihn verpassten, nur weil Eliza zu viel Skrupel hatte, Jos Gedanken zu lesen, würde sie sich das nie verzeihen.
Sie schlug das Buch auf. Linierte Blätter, dicht gefüllt mit Jos krakeliger, spitzer Schrift. Eliza blätterte das Buch rasch durch, es war fast voll. Eine lange Lektüre lag vor ihr.
»Tut mir wirklich leid, Jo«, murmelte sie, strich die erste Seite mit den Fingerspitzen glatt und begann zu lesen.
Sie brauchte fast den gesamten Nachmittag. Nicht nur, weil das Buch so voll geschrieben war, sondern auch, weil Jos Schrift streckenweise geradezu unleserlich wurde. Besonders, wenn sie wütend war.
Zuerst glaubte Eliza, dass sie überhaupt nichts Wichtiges erfahren würde. Die ersten Einträge mochten ganz interessant sein, vor allem, wenn man Jo kannte, aber sie waren nicht besonders aufschlussreich. Jo schrieb über andere Schüler, über den Alltag, über Ausflüge in die Stadt, die sie unternommen hatte, und über Robin, von dem sie glaubte, dass er immer noch in sie verknallt war.
Es war auf eine unheimliche Weise aufregend, die Gedanken einer Toten zu lesen. Eliza fand jedoch nichts, was irgendwie Hinweise auf Jos Tod hätte liefern können. Jedenfalls nicht bis sie zu den letzten paar Einträgen kam. Die waren gerade mal ein paar Wochen alt, und die Schrift war hier so krakelig, dass Eliza einen Absatz oft zwei- oder dreimal lesen musste, um entziffern zu können, was da stand.
Der erste Hinweis darauf, dass es interessant werden könnte, waren die Sätze: »Ich habe beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Hier hilft mir sowieso keiner, und wenn ich Antworten will, muss ich sie mir selbst suchen.« Eliza fuhr mit dem Finger über die Buchstaben. Es war beinah, als könne sie Jo sprechen hören, wenn sie diese Worte las. Dann blätterte sie weiter, überflog die Einträge nicht mehr, sondern las sie aufmerksam durch.
23. August
Torben ist es gelungen, seine Audiodateien von Frau Jansens Computer zu kopieren. Er ist mächtig stolz darauf, aber ich sehe nicht, was das bringen soll. Ich weiß, was wir in unseren Sitzungen besprochen haben, und es bringt mich keinen Schritt weiter zur Lösung dieses Rätsels. Ich bin mir sicher, dass Frau Jansen mehr weiß, genauso wie ich mir sicher bin, dass sie mir nie etwas freiwillig verraten wird. Nein, ich muss mir meine Quellen woanders holen, und ich glaube, ich weiß auch, wo. In dieser Sache hat mehr als eine Person ihre Finger im Spiel. Wenn ich mich nicht irre, wissen zumindest einige Lehrer Bescheid, der Rektor sowieso. Und dann gibt es da noch … aber nein, dazu äußere ich mich, wenn sich mein Verdacht bestätigt.
26. August
Kletterstunden bei Lars. Ich bekomme
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