Optimum 1
Eltern! »Primäre Sterilität beider Geschlechtspartner.« Eliza las den Ausdruck ein paar Mal, dann stand sie kurz auf, um sich ihr Biobuch zu holen und nachzuschlagen, ob sie das auch wirklich richtig verstanden hatte. Aber es schien zu stimmen: Die Ärzte waren zu dem Schluss gekommen, dass beide Meegens unfruchtbar waren.
Aber sie hatten doch Jo bekommen!
Unter der Diagnose stand noch ein einzelner Satz, der Elizas Aufmerksamkeit erregte: »Das Ehepaar wurde über das Projekt ›Optimum‹ informiert und hat nach einer ausführlichen Beratung der Behandlung zugestimmt.«
Das Projekt »Optimum«. Eliza blätterte weiter, in der Hoffnung, etwas über dieses Projekt zu erfahren, doch alles, was sie noch las, bezog sich auf Behandlungsmethoden, Hormonwerte, Befruchtungen. Sie hatte Mühe, die Details zu verstehen, alles, was sie begriff, war, dass die Meegens mit allen Mitteln um ein Kind kämpften.
Die letzte Seite enthielt eine Tabelle. »Präimplantationsdiagnostik weiblicher Embryo Nummer 32a« war die Überschrift. Darunter befand sich eine Liste der menschlichen Chromosomenpaare. Zu jedem Paar waren ein paar Kürzel angegeben, Daten, oder Vergleichswerte, manchmal auch einfach nur ein Plus- oder Minuszeichen. An manchen Chromosomen war ein Sternchen, und als Eliza am Ende der Seite nachsah, fand sie unter dem Sternchen angegeben: »Behandlung empfohlen.«
Verwirrt faltete Eliza die Blätter wieder zusammen, überlegte kurz und schob sie schließlich zwischen zwei Bücher in ihrem Regal. Dann schnappte sie sich noch mal ihr Biologiebuch und begann, darin zu blättern. Sie war nicht schlecht in Bio und glaubte, auch einiges verstanden zu haben, doch das meiste, was auf diesen Blättern stand, war ihr viel zu hoch. Sie schlug unter »Präimplantationsdiagnostik« nach, fand aber nichts dazu. Dann ging Eliza zu den Chromosomen über. Sie wusste, dass der Mensch 23 Chromosomenpaare hat und dass auf den Chromosomen sämtliche Erbanlagen festgeschrieben sind. Zum Beispiel, welche Haar- oder Augenfarbe man hat oder ob man Sommersprossen besitzt, sportlich ist oder zu Krankheiten neigt. Sie fand sogar eine Abbildung der Chromosomen – kleine, x-förmige Dinger, die sie immer an Würmer erinnerten – und starrte lange darauf, ohne dahinterzukommen, wonach sie eigentlich suchte.
Sie ging die Liste mit den menschlichen Chromosomen durch und glich sie mit denen auf dem Zettel ab, die mit einem Sternchen versehen waren. Leider stand in ihrem Buch überhaupt nichts darüber, was das für Chromosomen waren, welche Merkmale darauf lagen oder ob sie vielleicht für irgendwelche Krankheiten anfälliger waren, weswegen man sie »behandeln« musste. Ihr Buch war immer noch auf dem Stand, dass man viel zu wenig über die menschlichen Gene wusste, um da eine verlässliche Aussage zu treffen.
Verärgert schlug Eliza das Buch so fest zu, dass Sophia zusammenfuhr, missmutig zu ihr herüberblinzelte und murmelte: »Sag mal, spinnst du? Es ist noch nicht mal sieben.« Doch sie drehte sich gleich wieder auf die andere Seite.
Eliza legte das Biobuch auf den Schreibtisch zurück. Sie fasste zusammen, was sie herausgefunden hatte: Jos Eltern hatten ihr Kind wohl nicht auf natürlichem Weg empfangen. Vielleicht war die Diagnose das, was Jo Torben hinter der Musikhalle gezeigt hatte. Sie hatte ziemlich wütend und gekränkt geklungen und eindeutig gesagt, dass ihre Eltern ihr hätten Bescheid sagen müssen. Klar, wenn Eliza selbst ein Retortenkind wäre, würde sie das auch wissen wollen. Sie konnte Jos Ärger gut verstehen. Und weiter? Das war doch noch kein Grund, Jo umzubringen, selbst wenn sie dahintergekommen war.
Man hatte offensichtlich die Chromosomen des Kindes untersucht, und zwar in einem ziemlich frühen Stadium. Das Wort »Embryo« ließ darauf schließen. Nach all den Untersuchungen und Bemühungen hatten Jos Eltern vermutlich sichergehen wollen, dass sie ein gesundes Kind bekamen.
War denn so etwas möglich? Was bedeutete: »Behandlung empfohlen«? Und warum »Projekt Optimum«? Was war das für ein Projekt? Nur eines, das unfruchtbaren Paaren helfen sollte, Kinder zu bekommen?
Aber das Institut heißt so wie unsere Schule. Das kann doch kein Zufall sein. Eliza schauderte. Was, wenn die Schule Teil des Projektes ist? Was, wenn wir alle – alle Schüler hier – zu diesem Projekt gehören?
Sie schüttelte entschieden den Kopf. Das war Verfolgungswahn, nichts weiter.
Eliza starrte auf die gefalteten Papiere
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