Optimum - Kalte Spuren
leid, als sie das las. Sie hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wovon der Brief handelte. Sie schob den Streifen Fotos wieder zurück in den Umschlag und steckte diesen in die Umhängetasche.
»Komm, wir gehen « , sagte sie zu Nathan. »Ich glaube, dass du recht hast. Saskia ist nicht unsere Frau .«
Nathan atmete erleichtert auf, und gemeinsam kehrten sie in den Aufenthaltsraum zurück.
Von der entspannten Stimmung beim Frühstück war nicht mehr viel übrig geblieben. Tim saß mit verbundener Hand in einer Ecke und starrte alle finster an. Torben und sein kleines Gefolge hatten es sich am Kopfende des Tischs bequem gemacht. Sie sprachen gerade ernsthaft mit Jasmin, die vor ihnen stand und noch kleiner und zerbrechlicher wirkte als sonst. Rica war überzeugt davon, dass sie diesen Effekt absichtlich hervorrief.
Als Nathan und sie eintraten, fiel Torbens Blick auf sie. »Da seid ihr ja« , meinte er wenig amüsiert. »Warum seid ihr einfach abgehauen? Wir haben hier eine wichtige Untersuchung durchzuführen .«
»Sorry, mir war nicht klar, dass du hier ein Standgericht abhalten möchtest « , erwiderte Rica und schlenderte zu ihm hinüber. »Wenn ich mich richtig erinnere, war ich heute noch gar nicht in der Küche. Und Nathan auch nicht. Wie sollen wir da eine Mausefalle aufgestellt haben ?«
Torben durchbohrte Rica mit Blicken. »Ihr beide seid vorhin schon einmal verschwunden. Woher sollen wir wissen, dass ihr euch nicht in die Küche geschlichen habt .«
»Wir waren oben bei Eliza !« , brauste Rica auf. »Irgendjemand muss sich schließlich um sie kümmern. Von euch scheint ja keiner an sie gedacht zu haben .«
Einen Augenblick lang sah Rica einen betroffenen Ausdruck auf Torbens Gesicht, dann verhärtete sich seine Miene wieder. »Ihr könnt mir viel erzählen. Überhaupt macht ihr hier die ganze Zeit Extratouren. Kann ich vielleicht wissen, wohin ihr gestern tagsüber verschwunden seid ?«
»Nein « , antwortete Nathan.
»Das geht niemanden etwas an« , ergänzte Rica.
Torben kniff die Augen zusammen. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf? Habt ihr euch vielleicht mit diesem sogenannten Psychopathen getroffen und –«
»Ach, red doch keinen Unsinn !« , unterbrach Rica. »Warum sollten wir denn so etwas tun? Wir haben einen kleinen Spaziergang gemacht, das ist alles .«
»In diesem Schneesturm ?« Torben zog die Augenbrauen hoch.
»Wir mögen eben frische Luft .« Nathan verschränkte die Arme vor der Brust.
»Das ist doch der größte Bullshit .« Kai, der bisher neben Torben gesessen hatte, sprang auf. »Die verarschen dich doch, Torben .«
»Das weiß ich .« Torben verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. »Also gut, noch kann ich nicht beweisen, dass ihr irgendwas damit zu tun habt, aber ich behalte euch von jetzt an im Auge, dass ihr das nur wisst. Wenn noch etwas passieren sollte …«
»… weißt du, dass wir nichts damit zu tun haben können, weil du uns ja im Auge behältst « , vervollständigte Nathan den Satz. Ohne auf Torbens Erwiderung zu warten, drehte er sich um und ging davon. Rica folgte ihm schweigend.
Kaum hatte sie sich zu Nathan an den Tisch gesetzt, kam von der anderen Seite Tim und setzte sich ihnen gegenüber. Er hielt eine Kaffeetasse in seiner unverletzten Hand und ein Buch in seiner anderen. Demonstrativ schlug er das Buch auf und begann, zu lesen. Dabei kam er nicht besonders schnell voran, was vielleicht auch daran lag, dass er immer wieder einen Blick auf Rica und Nathan warf.
Rica sah zu Nathan und zog die Augenbrauen hoch. Unter diesen Umständen waren keine Extratouren möglich, das sah sie selbst. Wahrscheinlich war es besser, die ganze Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Vielleicht beruhigte sich die ganze Stimmung ja wieder.
Rica seufzte und griff sich selbst ein Magazin von der Ablage hinter sich. Es war ein Hochglanz-Modeding, das sie normalerweise nicht einmal angesehen hätte, aber im Moment erschien es ihr das Unverfänglichste, was sie tun konnte. Also blätterte sie ziellos darin herum.
Nathan warf ihr einen skeptischen Seitenblick zu, zog ein Notizbuch aus der Tasche und fing an, darin herumzukritzeln.
Der Tag verging unendlich langsam. Es gab überhaupt nichts zu tun, und der Mangel an Bewegung und die allgemeine Enge setzten allen ziemlich zu. Schon am frühen Nachmittag waren die meisten Schüler überreizt und aggressiv, einige von ihnen bestanden darauf, nach draußen zu gehen, obwohl dort der Schneesturm immer
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