Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
schweigend. Sie waren beide viel zu sehr in Gedanken versunken.
Wer will mich umbringen? Warum? Ricas Kopf schmerzte noch immer. Vielleicht konnte sie deswegen keine Antwort finden. Eliza neben ihr zitterte die ganze Zeit. Kein Wunder – ein kalter Wind pfiff durch den Wald und drückte ihre durchnässten Klamotten eng an ihren Körper.
Rica warf ab und zu einen Blick zu ihrer Freundin hinüber und fragte sich, was diese wohl dachte, aber Elizas Gesicht war unbewegt und undurchschaubar. Erst, als sie wieder in Sichtweite der Schülerunterkünfte waren, hob Eliza den Kopf.
»Ich brauche trockene Sachen«, sagte sie, »und danach habe ich Hausaufgabenbetreuung.«
»Du willst doch da nicht wirklich hingehen?« Rica hatte inzwischen endlich ausgeknobelt, was sie jetzt machen wollte. »Ich dachte, wir sehen nach den E-Mails. Schreiben Nathan. Vielleicht weiß er ja, was jetzt am besten zu tun ist.«
Eliza verzog das Gesicht. »Sorry. Wenn ich das nicht mache, fällt es auf. Und es war schließlich deine Idee, so zu tun, als wäre nach wie vor alles in Ordnung.« Sie lächelte schwach. »Aber du kannst ja in den Computerraum gehen. Nathan hat gesagt, er schickt dir auch eine Kopie der Antwort, wenn er etwas von Andrea hören sollte.«
Rica knurrte etwas Unverständliches. Sie hatte sich beinah gefreut, jetzt ein paar ruhige Stunden mit Eliza verbringen zu können, auch wenn sie sie zum Lösen eines Rätsels aufwenden mussten. In Elizas Zimmer hätten sie auf dem Bett sitzen und Tee trinken können, und vielleicht wäre über ein bisschen Plauderei auch der schlimmste Kopfschmerz vergessen. Aber so? Allein im Computerraum hocken, mit schmerzendem Schädel? Das förderte nicht gerade ihre gute Laune.
Eliza schien mal wieder ihre Gedanken zu lesen. Sie trat ein Stück näher an Rica heran und legte ihr den Arm um die Schulter. »Hör mal, es tut mir wirklich leid. Wir setzen uns heute Abend zusammen. Versprochen.« Sie drückte leicht Ricas Schulter. »Wir schaffen das schon.«
Rica seufzte und rang sich ein Lächeln ab. Eliza hatte ja recht.
»Heute Abend«, stimmte sie zu. »Ich rufe dich an. Ich hab noch was mit meiner Ma zu besprechen.«
Sie verabschiedete sich per Handschlag von Eliza und machte sich auf den Weg.
Bevor sie in den Computerraum abbog, steckte sie den Kopf ins Zimmer der Schulschwester.
»Kann ich ein paar Paracetamol bekommen? Ich habe Kopfschmerzen.« Sie hatte die Kapuze ihrer Jacke hochgeschlagen und hoffte zum einen, dass die Schwester ihre Kopfwunde nicht bemerkte, und zum anderen, dass sie Rica nicht erkannte. Normalerweise waren die Medikamente nur für die Schüler, die auch in den Schülerunterkünften wohnten, vorgesehen. Doch die Schwester sah überhaupt nicht richtig hin. Sie schob schweigend eine Packung Paracetamol über die Theke, während sie konzentriert den Bildschirm ihres Smartphones begutachtete. Rica war dankbar. Endlich mal jemand, der nicht besonders auf sie achtete.
Auf der Mädchentoilette warf sie zwei Paracetamol ein und machte sich dann auf den Weg in den Computerraum. Da es draußen immer noch regnerisch und kühl war, waren fast alle Plätze besetzt, Rica konnte jedoch noch einen Sitz fast in der Mitte des Raums ergattern. Sie fuhr den Rechner hoch und bemerkte gleichzeitig dankbar, dass die Tabletten zu wirken begannen. Der dumpfe Schmerz in ihrem Schädel verschwand zwar nicht, aber er ebbte auf ein Maß ab, das deutlich erträglicher war als alles zuvor. Rica atmete auf. Vielleicht konnte sie jetzt ja auch ein wenig klarer denken.
Rasch rief sie ihren Mailprovider auf. Ihr ganzes Postfach war vollgestopft von irgendwelchen Werbemails und auch einer Handvoll Mails, die Eliza und Nathan im Laufe der Woche geschrieben hatten. Rica scrollte über sie hinweg – mit ihnen konnte sie sich noch später beschäftigen – und suchte nach dem neuesten Datum. Sie fand eine Mail von Nathan, die gerade erst vor zwei Stunden abgeschickt worden war. Die Betreffzeile hatte er seltsamerweise leer gelassen. Rica runzelte die Stirn und klickte die Mail an.
Hallo Rica,
mir geht es sehr gut, vielen Dank. Heute sind unerwartet einige alte Freunde bei mir aufgetaucht. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen. Ich glaube, einige von ihnen kennst du auch. Ich überlege, ob ich nicht für ein paar Tage mit ihnen auf einen Trip fahre, vielleicht nach Norden. Sie wollen, dass ich an einem dieser Fernseh-Quizshows teilnehme, du weißt schon, Fragen über Fragen.
Ich glaube, dein Vater
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