vermisst dich. Er hat so etwas gesagt. Du solltest dich unbedingt mal bei ihm melden.
Viele Grüße
Nathan
Rica blinzelte und starrte die E-Mail an. Was war das denn für ein Haufen Unsinn? Sie hatte Nathan doch gar nicht geschrieben, warum bedankte er sich dann bei ihr? Und was sollte das mit seinen alten Freunden?
Rica schüttelte den Kopf und las die Mail nochmals durch. Es war klar, dass Nathan nicht einfach nur willkürlichen Unsinn geschrieben hatte. Ganz offensichtlich wollte er ihr mit der Mail etwas sagen. Aber was? Und warum? Wurden jetzt auch ihre Mails überwacht?
Mit einem leichten Schaudern sah Rica sich um. Die Schüler um sie herum waren allesamt auf ihre Bildschirme konzentriert. Niemand achtete auf sie. Rica lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Mail.
Fragen über Fragen. Rica stolperte über die Formulierung. Jemand, der Nathan aushorchen wollte? Jemand, der zu viele Fragen stellte? Aber wer? War Andrea dahinter gekommen, wo Nathan wohnte? Hatte sie sich bei ihm eingeschlichen und versuchte ihn nun zu erpressen?
Ricas Herz schlug ein wenig schneller, und sie bemerkte, wie das dumpfe Pochen hinter ihrer Schädeldecke wieder zunahm. All die Grübelei war nicht gut für sie. Sie würde das hier schnell erledigen, und dann ging sie am besten nach Hause und legte sich ein wenig ins Bett bis heute Abend. Vielleicht ging es ihr dann ja ein wenig besser.
Rica öffnete das icq-Programm und loggte sich unter ihrem Chatnamen ein. Bevor sie zu Robin gefahren war, hatte sie mit Nathan icq-Nummern getauscht. Rasch fügte sie ihn zu ihrer Kontaktliste hinzu, und gleich darauf tauchte sein Name in ihrem Kontaktfenster auf. Aber er war als offline gekennzeichnet. Rica presste die Lippen aufeinander und versuchte etwas anderes. Sie zog ihr Handy hervor, ignorierte all die Anrufe in Abwesenheit, die sie empfangen hatte, und tippte eine SMS an Nathan.
Hab deine Mail. Wollen wir reden?
[email protected] Sie schickte die SMS ab und rief wider besseres Wissen sofort ihre uralte Mailadresse auf, die sie Nathan gerade geschickt hatte. Sie hatte sie sich als Kind zugelegt, aber irgendwann war nur noch Spam dort angekommen, sodass sie eine neue angelegt hatte, die sie dann auch nicht Gott und der Welt mitgeteilt hatte. Gelöscht hatte sie ihren alten Account jedoch nie.
Wenn sie den überwachen wollen, müssen sie sich erst mal durch ein Dutzend »Wollen Sie größere Brüste?«-Mails wühlen. Rica grinste bei sich, hörte aber sofort wieder auf, als ein stechender Schmerz durch ihren Schädel zuckte.
Schluss. Du gehst jetzt ins Bett. Immerhin hat heute jemand versucht, dich umzubringen. Rica fuhr den Rechner herunter, packte ihre Schulsachen zusammen und verließ den Computerraum. Sie musste sich wirklich ausruhen.
* * *
Eliza sammelte ihre Unterrichtsmaterialien zusammen, und stopfte sie in ihren Schulrucksack. »Du kommst doch allein zurecht, oder?«, fragte sie das Mädchen.
Das Mädchen sah von ihrem Heft auf. Ihre Augen waren groß und blau und ein wenig ängstlich. In ihnen lag ein Ausdruck, den Eliza nur zu gut kannte. Von sich selbst, als sie neu an dieser Schule gewesen war. Nein, nicht nur dann. Eigentlich bis sie Rica kennengelernt hatte und sich ein bisschen Mut von ihr hatte borgen können.
»Ich denke schon.« Die Kleine versuchte, fest und sicher zu sprechen, aber Eliza bemerkte das Zittern in ihrer Stimme. Das Mädchen hatte panische Angst, allein gelassen zu werden. Sie war neu an der Schule, zum Halbjahr erst herübergewechselt, und Eliza konnte ihr die Unsicherheit und Angst gut nachfühlen. Aber dennoch – sie hatte zu tun.
Nur konnte sie das Mädchen auch nicht einfach so allein lassen. »Hör mal!«, sagte sie, und ließ sich wieder neben dem Kind auf einen Stuhl fallen. »Ich komme bald wieder. Ich muss nur schnell etwas erledigen, dann bin ich sofort wieder bei dir. Und außerdem …« Sie legte eine Hand auf den Arm des Mädchens und atmete tief und ruhig durch, bis sie spürte, dass sich diese Ruhe auch auf ihre Sitznachbarin übertrug. »Außerdem kannst du das schon sehr gut allein. Du bist gar nicht schlecht in Mathe. Schau dir die Aufgaben mal genau an, du wirst sehen, das schaffst du!«
Die Kleine senkte ihren Blick auf die Bruchrechnungen vor sich. Es waren schwierige Aufgaben für eine Zehnjährige, das fand Eliza selbst auch, aber sie wusste auch, dass es erst einmal Einstufungsaufgaben waren. Vermutlich musste das Mädchen gar nicht alle richtig lösen.
Das