Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
Wenn, wer auch immer, das Ding verschickt hatte, ein Geheimniskrämer bleiben wollte, sei’s drum. Aber sie hatte jetzt etwas Besseres zu tun. Zum Beispiel schlafen. Mit einem entschlossenen Fingerdruck schaltete sie das Handy aus und kroch danach wieder zu Robin unter die Decke. Er murmelte etwas im Halbschlaf und legte sofort wieder den Arm um sie. Rica kuschelte sich an ihn und versuchte, das Gefühl von Wärme und Geborgenheit wiederzufinden, das da eben noch gewesen war. Aber es dauerte eine lange Zeit, bis sie schließlich einschlief.
Kapitel elf
Maulwurf
Die Fahrt erschien ihr endlos, obwohl sie nur etwas mehr als drei Stunden dauerte. Aber die Atmosphäre im Zug war so angenehm, dass Rica diese drei Stunden richtiggehend als Erholung empfand. Sie saß zurückgelehnt in ihrem Sitz, ließ die Landschaft an sich vorbeirauschen und hörte, gemeinsam mit Robin, Musik aus seinem iPod. Um sie herum unterhielten sich die anderen Fahrgäste, und ein Stück den Gang hinunter spielten lautstark zwei Kinder. Es fühlte sich alles so normal und harmlos an, dass Rica am liebsten nie wieder aus dem Zug ausgestiegen wäre. Am besten wäre doch, man könnte immer im Kreis fahren, eingefangen in dieser Blase aus Normalität. Von Menschen umgeben, die nicht hochbegabt sind und die auch nicht versuchen, mich umzubringen.
Doch als sie schließlich aus dem Zug stiegen, holte die Realität Rica wieder ein. Hier war alles laut und belebt, und Hunderte von Menschen schienen sie zu beobachten. Sie hatte das Gefühl, alle Augen wären auf sie gerichtet, als sie Robin zu der Bushaltestelle folgte, von der der Bus in Richtung Jugendherberge abfuhr. Immer wieder drehte sie sich um, in Erwartung, irgendein Gesicht zu erspähen, das sie kannte. Vielleicht den Kerl im Anzug von gestern Abend? Oder Herrn Wolf? Oder den Jungen, der sie vor den Bus gestoßen hatte? Rica merkte, wie ihr Herz schneller schlug und schalt sich für ihre Angst. Das war doch wirklich nicht mehr normal, oder? Wann hatte sie sich in dieses panische Wesen verwandelt?
Spätestens als sie angefangen haben, deine Freunde abzuholen, Schätzchen. Ein bitteres Grinsen huschte über Ricas Gesicht.
Tatsächlich schien ihnen niemand zu folgen, als sie in den Bus stiegen, und auch die Jugendherberge lag relativ verlassen da. Eine Schulklasse – vielleicht vierte oder fünfte Klasse – tobte über den Hof, aber keiner achtete auf Rica und Robin. Erleichterung machte sich in ihr breit, und auch das Gefühl, das Richtige getan zu haben, indem sie nicht gleich bis ans Meer gefahren waren, sondern diesen Zwischenstopp eingeplant hatten, um sich zu informieren und Pläne zu machen. Vielleicht ging von jetzt an ja alles glatt.
»Check du ein!«, sagte Rica, als sie die Eingangshalle betraten. »Ich sehe nach, ob es hier Internet gibt.«
Sie wurde rasch fündig. Es gab zwei Internet-Terminals für Gäste, und nachdem sie einen kurzen Moment gewartet hatte, wurde eines von ihnen frei. Rica schoss sofort darauf zu, rief ihr Forum auf und loggte sich ein. In ihrem Postfach warteten gleich mehrere Nachrichten von Henry. »Wo bist du?«, war der Betreff von allen. Rica öffnete eine und sah, dass er nichts Weiteres in das Textfeld geschrieben hatte. Sie klickte auf »Antworten«.
Hatte Schwierigkeiten, musste mich davon machen. Bin aber jetzt wieder da. Du?
Die Antwort folgte prompt.
Chat?
Rica atmete erleichtert auf. Er war online. Wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit auf eine Nachricht von ihr gewartet. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er von Stunde zu Stunde ängstlicher wurde. Ein Wunder, dass er nicht ebenfalls untergetaucht war. Sie rief ihr Chatfenster auf. Henry war schon online.
Was für Schwierigkeiten? Sie sind mir auf die Spur gekommen. Haben mich bedroht. Bin abgehauen.
Einen Augenblick lang tat sich nichts in ihrem Chatfenster. Rica konnte geradezu sehen, wie Henry grübelnd vor seinem Bildschirm saß.
Was ist passiert?
Jetzt war es an ihr, zu zögern. Wie sollte sie all das beschreiben, was geschehen war?
Eine gute Freundin von mir ist abgeholt worden, schrieb sie schließlich. Ich weiß nicht, was sie mit ihr machen wollen. Und mir haben sie gedroht. Sie wollten mich festnehmen lassen. Gut, das war vielleicht ein bisschen überdramatisiert, aber ihrer Meinung nach konnte das nicht schaden. Du wolltest mir erzählen, was du weißt! , schrieb sie.
Wieder eine lange Pause.
Was weißt du denn? Nur, damit ich weiß, dass du … real bist, kam die
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