Opus 01 - Das verbotene Buch
einen Blick zuwarf, wurde seine Verwirrung nur noch ärger, wenngleich aus anderen Gründen. Sie lächelte ihm auf eine Weise zu, wie er es sich allenfalls in seinen allergroßartigsten Träumen zuweilen ausgemalt hatte.
Hastig wandte er sich wieder dem alten Mann zu. »Das heißt also, dass sie mich wegen jener Fähigkeiten mit sich nehmen wollten, als ich ein Knabe von sieben Jahren war?«
»Deshalb wurdet Ihr auserwählt, Herr Amos.« Hubertus nickte mehrfach. Dabei wand er sich jedoch auf seinem Schemel hin und her und wich Amos’ Blick aus. Es war klar, dass er nur noch nach einem Vorwand suchte, um ihr Gespräch zu beenden. »Jedenfalls habe ich es mir so zurechtgelegt«, fuhr er denn auchfort, »und mehr kann ich Euch wirklich nicht sagen. Schließlich habe ich selbst jenem Opus Spiritus niemals angehört – ich bin nur ein einfacher Mann und weder ein Schriftgelehrter noch gar von edlem Geblüt. Vieles habe ich mir nur zusammengereimt – aus verstreuten Andeutungen von Eurem Großvater und später auch von Herrn Ferdinand. Wie ich es verstanden habe, mussten wohl alle Geistesbrüder geloben, dem Opus Spiritus einen zur Magie geneigten und begabten Novizen zuzuführen. Dass die Wahl Eures Großvaters auf Euch fiel, liegt auf der Hand, ebenso, dass Euer Vater zumindest anfangs damit einverstanden war – schließlich war er selbst ein großer Bewunderer der alten heidnischen Künste und Gebräuche. Doch dann änderte er wohl seine Meinung, denn mittlerweile loderten überall die Scheiterhaufen, und beinahe jede Woche wurde irgendwo eine Hexe, ein Alchimist oder Zauberer verbrannt. Ich erinnere mich noch, wie Eure Frau Mutter in jener Zeit immerfort schrie und weinte: ›Sie werden mein Kind verbrennen, sie werden mein Kind verbrennen – lasst den Kleinen endlich in Ruhe!‹«
Amos warf Klara abermals einen Blick zu und diesen Moment nutzte der Alte und sprang auf. »Und nun bringe ich Euch zu Eurem Nachtlager, wenn Ihr erlaubt.«
»Warte, Hubert, die wichtigste Frage hast du mir noch nicht beantwortet: Mussten meine Eltern also deshalb sterben – weil sie mich an jenen Geisterorden nicht herausgeben wollten?«
Aber der Alte schüttelte nur noch grimmig den Kopf, die Lippen zu einem blassen Strich zusammengepresst.
Lass ihn, Amos. Morgen früh kannst du ihn immer noch weiter befragen .
Amos nickte zustimmend und stand gleichfalls auf. Er fühlte sich wie betäubt von all den Neuigkeiten und schwindlig vor Müdigkeit. Gerade dankten er und Klara dem Alten für die gastliche Bewirtung, als mit rostigem Quietschen die Haustür aufging und Josepha wieder in der Stube erschien. Sie hielt einen Packen abgetragener Kleidungsstücke vor die Brust gedrückt, und als Amosauf sie zuging und ihr gleichfalls danken wollte, warf sie ihm das Lumpenbündel vor die Füße.
»Und jetzt raus mit Euch, Herr! Und vergesst nur nicht, Eure Hexe mitzunehmen!« Sie funkelte ihn und Klara giftig an und deutete zur offenen Tür. So blieb ihnen nichts anderes mehr übrig, als murmelnd eine gute Nacht zu wünschen und über den dunklen Hof hinüber zum Stall zu gehen.
9
A
mos erwachte beim ersten Morgenlicht.
Neben ihm lag Klara und lächelte im Schlaf. Sie hatte ihre Pferdedecke für sie beide im Stroh ausgebreitet und
Das Buch der Geister
so daruntergeschoben, dass er im Dunkeln danach tasten könnte. Falls er aus dem Schlaf aufschrecken und sich bei der Vorstellung ängstigen würde, dass die Bücherjäger ihm das Buch doch noch abgejagt hätten.
Aber ich werde deinen Schlaf bewachen , hatte sie ihm zugelächelt. Träume süß und unbesorgt .
Vorher hatte sie sich noch um seine Wunden gekümmert – die vielerlei Abschürfungen, die er sich bei der wilden Floßfahrt zugezogen hatte, und die Fleischwunden auf seiner Schulter, die ihm die Falken mit ihren Krallen und Schnäbeln und zuletzt auch noch Johannes mit der Streitaxt beigebracht hatten.
Schon halb im Schlaf hatte er sich das Amulett vom Hals genestelt, um es ihr zurückzugeben. Aber Klara hatte nichts davon wissen wollen und ihm das Lederriemchen mitsamt silbernem Dreieck und Augenstein gleich wieder umgeknüpft. Mutter Sophia hat es mir als Erkennungszeichen für den Notfall gegeben – falls du mir nicht glauben würdest, dass ich auf deiner Seite bin . Sie hatte auf ihn herabgelächelt und sich der nächsten seiner Schürfwunden zugewandt. Aber du scheinst mir ja auch so zu glauben und der blaue Stein passt zu deinen Augen viel besser als zu meinen.
Das ließ
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