Opus 01 - Das verbotene Buch
Felswand zu und zerrte ihn mit. Hannes stemmte sich nun mit aller Kraft gegen den Sog, aber nur noch für einen kurzen Augenblick – eigentlich war es doch ein höchst angenehmes Gefühl. Er tauchte in das weiche, warme Licht ein und der Fluss zog ihn mit sich und nun überließ er sich bereitwillig dem Sog. Aber wiederum nur für einen kurzen Moment – denn dies alles hier konnte doch bloß ein Satansspuk sein, den die dämonischen Gifte in seinem Innern ihm vorgaukelten. Und so ging es hin und her und jedes Mal, wenn Hannes sich aufs Neue dem Sog überließ, fand er den Lichtfluss noch wärmer, wiegender, weicher. Bis er schließlich von wilder Gier erfüllt war und nichts anderes mehr wollte, als zur Quelle vorzudringen, tief in den Fels hinein. Das Licht umfloss und umschloss ihn jetzt ganz und gar. Niemals hatte er sich stärker, lebendiger gefühlt, so sehr erfüllt von pulsierender Kraft. Gierig trank er das goldene Licht in sich hinein. Und dann plötzlich war es wieder vorbei: Er spürte einen Stoß und riss die Augen auf.
Er saß im Eisenkarren, hinter dem schwarzen Tuch. Was um Himmels willen war da eben mit ihm passiert? Mit der flachen Hand fuhr er sich über die Stirn. Sie fühlte sich heiß an und hitzig war ihm auch innerlich zumute – so als ob er eben mit einem Widersacher auf Tod und Leben gekämpft oder einen heiß geliebten Menschen umarmt hätte – oder beides zur gleichen Zeit.
Wohin nur hatte es ihn fortgerissen, in welcher Spukwelt war er eben gewesen? Während Hannes noch darüber grübelte, befahl Gregor den beiden Lastgäulen, langsamer zu gehen. Der Eisenkarren kroch nur noch dahin. Das Dröhnen und Quietschen wurde leiser, und Hannes vernahm von allen Seiten ein Prasseln und Trappeln, das rasch lauter wurde. Vor den schwarzen Vorhängen zeichneten sich die Umrisse riesenhafter Pferde ab, mit Reitern darauf, die gewaltige Schwerter schwangen oder ihre Gewehre im Anschlag hielten.
3
Z
iellos irrte Amos in der leeren Burg herum.
Er musste unbedingt Verbindung mit Kronus aufnehmen, ihm von dem Lichträuber berichten, der ihn vorhin auf magischem Weg überfallen hatte. Doch es gelang ihm einfach nicht, den alten Mann zu erreichen – er schloss die Augen und erblickte sogleich wieder den pulsierenden rotgoldenen Punkt, sein magisches Herz. Aber von diesem inneren Stern gingen wiederum nur ein paar spinnbeindünne Glimmerfäden aus, dazwischen auch jenes Rinnsal aus krampfhaft zuckendem Licht. Und so oft Amos diesen Versuch auch wiederholte, den kraftvollen Lichtstrahl, der ihn ab und an mit Kronus verband, konnte er einfach nicht finden.
Dabei spürte er doch, wie groß die Gefahr war, die von diesem Lichtfresser ausging – Gefahr für Kronus, für Oda, für ihn selbst? Er wusste es nicht, er fühlte nur, dass er auf der Stelle irgendetwas unternehmen musste. Aber was? Seine Schwester wecken, mit ihr zu Kronus laufen? Falls der Lichträuber hinter dem weisen Mann her war, würde er Oda auf diese Weise nur noch mehr in Gefahr bringen. Oder Oda in der Burg zurücklassen, hinüber zum Mühlhof rennen, um Kronus zu warnen? Das konnte er erst recht nicht machen – Oda allein in der leeren Burg, sie würde nicht einmal ahnen, in welcher Gefahr sie schwebte.
Aber worin bestand denn überhaupt diese Gefahr? Kronus hätte ihm bestimmt alles erklären können – doch den konnte er eben nicht erreichen. Amos’ Gedanken drehten sich im Kreis. Er hätte schreien, mit den Fäusten gegen die Palastür, gegen die Burgmauern trommeln mögen, irgendetwas machen, um die Falle zu sprengen, in der er gefangen war, oder um zumindest die summende, funkelnde Unrast in seinem Innern zu entladen.
Schließlich lief er zur Westmauer, riegelte die schmale Tür im Burgtor auf und kletterte draußen auf den Felsvorsprung unter dem Wehrwall. Hier hatte er ungezählte Abendstunden verträumt, den Falken am Himmel zugesehen, dem Sinken derSonne über den Dächern von Kirchenlamitz, bis endlich, endlich der Zorn und die Trauer in seinem Herzen ein wenig besänftigt waren. Trauer um alles, was er verloren hatte. Zorn auf jene, die alles zerstört hatten, was einmal sein Leben gewesen war.
Heute aber war alles anders – Amos hatte sich gerade erst auf der Felsnase zusammengekauert, den Rücken gegen die Burgmauer gedrückt, da hörte er tief unter sich, von der Straße her, ein metallisches Dröhnen. Es klang wie nichts, was er jemals gehört hatte – selbst gewaltige Kutschwagen, von sechs Pferden gezogen,
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