Opus 01 - Das verbotene Buch
Lichträuber geworden.
»Als du noch ein kleiner Knabe warst – war da in deinem Vaterhaus je die Rede davon, dass du fortgehen solltest?«
»Fortgehen, Herr?«
»Erforsche dein Inneres, dann erst gib Antwort.«
Er horchte in sich hinein und wie aus Klaftertiefe stieg ein lange vergessener Schrecken in ihm auf. Nebelhaft sah er einige Gesichter vor sich – nein, nur Umrisse, wie bei Cellari: würdige Herren mit weißen Haaren und kostbaren Gewändern, die die Stube im Gutshaus eng und ärmlich wirken ließen. Ernst sprachen sie auf den Vater ein, und er neigte sich mal ihnen zu, dann wieder der Mutter, die sich wehklagend gegen das Begehren der Herren wehrte. Und zwischen den Eltern saß er, Amos, ein kleiner Knabe noch, im knielangen Kittel, wie ihn die Kinder tragen. »Ich lass ihn nicht gehen«, schluchzte die Mutter immer wieder und presste Amos an sich. Bis schließlich der Vater aufstand und mit abweisender Miene den Kopf in Richtung der Herren schüttelte, die sich keine Mühe gaben, ihre Enttäuschung zu verbergen. Ohne ein weiteres Wort standen sie auf und verließen einer hinter dem anderen die Stube.
Amos schaute zu der Gestalt im Flammenkleid auf, über deren leerem Antlitz der Strahlenkranz prangte. »Ich hatte es vergessen«, sagte er, »aber einmal waren Männer bei uns, die wollten mich mit sich nehmen. Da war ich sieben oder vielleicht acht Jahre alt, und die Männer mussten mit leeren Händen wieder abziehen, denn meine Eltern gaben mich nicht her.«
Er hatte noch nicht ganz fertig gesprochen, da wurde er von hinten gepackt und unsanft hochgezogen. Im Bann der aufsteigendenErinnerungen hatte er wie im Selbstgespräch vor sich hin gemurmelt – doch nun wurde ihm mit einem Schlag klar, wem er sich anvertraut hatte.
»Bringt ihn zu den anderen in den Saal«, befahl Cellari. »Ich bin fertig mit ihm – und mit allem hier.«
»Was soll das heißen – Ihr seid fertig?«, stieß der bullige Mann neben Cellari hervor, der bisher kein Wort gesagt hatte. »Dass der Ritter von Kronus’ Teufeleien nichts wusste und nichts wissen wollte, hat er uns ja eben glaubhaft vorgewinselt. Aber seinen Neffen einfach laufen lassen? Das mache ich nicht mit, Cellari. Wir nehmen ihn mit nach Nürnberg, genauso wie Kronus.«
Just in diesem Moment versank die Sonne hinter dem Wehrturm. Im jäh hereinbrechenden Dämmerlicht sah Amos, wie der Inquisitor milde lächelte. »Wer redet denn von Laufenlassen, Freund?«
Kapitel V
1
R
astlos lief Amos
im Saal des Palas auf und ab – wie die Wachhunde unten im Graben immer hin und her. Höttsche und seine Männer dagegen hockten und lagen auf Bänken und Schemeln, sogar auf dem blanken Steinboden, als ob sie jeder ein ganzes Fass ausgesoffen hätten. So stumm und reglos, mit hängenden Köpfen – nur die drei Verwundeten ließen zuweilen ein leises Stöhnen hören. Doch diesmal war es nicht der Fusel, der den Hauptmann und seine Schar derart lähmte.
Die Nacht war hereingebrochen. Niemals hatte Amos den Saal so verdüstert gesehen. Nur einige wenige Kerzen verströmten ein wenig dämmrigen Schein. Aber selbst tausend lodernde Fackeln hätten die Düsterkeit nicht vertreiben können in dieser Nacht, die wie rostiges Eisen war: so schorfig schwarz, so drückend schwer. Todesangst stand den Männern in die Gesichter geschrieben. Nicht nur den jungen Pagen, die in einer Ecke zusammengedrängt kauerten, sondern selbst den rohesten Raufbolden, die sonst immer am lautesten krakeelten, dass sie weder Tod noch Teufel scheuten.
Vor der Inquisition aber fürchteten sie alle sich wie kleine Knaben vor dem Klabautermann. Der Inquisitor Cellari war nicht einmal davor zurückgeschreckt, Ritter Heribert in seinem eigenen Verlies festzusetzen und dort wohl auch mit der Eisenzange zu befragen – jedenfalls waren aus dem Gewölbe unter dem Wehrturm früher am Abend gräuliche Schreie emporgeschallt. Da würde der Inquisitor mit dem Gefolge des Ritters erst recht kurzes Federlesen machen und sie gleich im dreifachen Dutzend dem Scheiterhaufen zuführen – zumindest hatten es sich die Männer, mal schreiend, mal heiser tuschelnd, in mutlosem Wortwechsel so ausgemalt. Nur Hauptmann Höttsche hatte sich an alledem mit keiner Silbe beteiligt. Seit Stunden saß er bewegungslos auf der Steinbank neben dem kalten Kamin und starrte mit so leerem Blick vor sich auf den Boden, als ob er bereits mit allem abgeschlossenhätte. Anfangs hatten ihn seine Männer noch auszufragen versucht: »Was
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