OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
ich damit bestimmt nicht sagen und das ist auch vollkommen ausgeschlossen. Valentin wusste ganz genau, was er tat – und er war ganz und gar auf der Seite der ›Dichter‹. So wie natürlich auch ich.«
Sie lächelte still in sich hinein. »Wir ›Dichter‹«, fuhr sie fort, »waren die weitaus größere und mächtigere Gruppe innerhalb unserer Bruderschaft – jedenfalls bildeten wir uns das lange Zeit ein. Namen will ich hier lieber keine nennen, Klara, ich darf es auch gar nicht – wir alle haben bei unserem Leben geschworen, über gewisse Dinge Stillschweigen zu bewahren. Aber so viel darf und will ich dir sagen: Mächtige Edelleute, einflussreiche Künstler und Gelehrte gehören dem Opus Spiritus an, darunter auch einige hochgestellte Kirchenmänner – und die meisten von ihnen standen von Anfang an aufseiten der ›Dichter‹. Außer mir selbst gehörte natürlich auch Bruder Egbert zu dieser Gruppe – und übrigens auch Amos’ Großvater Kasimir von Hohenstein. Nach langem Hin und Her einigten wir alle uns schließlich darauf, dass Valentin Kronus
Das Buch der Geister
schreiben sollte. Das war vor rund drei Jahrzehnten – ich war damals noch eine einfache Nonne, und Valentin hatte gerade beschlossen, das Klosterleben aufzugeben.«
Erneut unterbrach sie sich und jenes stille Lächeln glitt über ihr faltiges Antlitz. Sie zog ein Leinentüchlein unter ihrer Decke hervor und wischte sich den Schweiß von Stirn und Wangen.
»Wollt Ihr Euch nicht lieber eine Pause gönnen, Mutter Sophia?«, fragte Klara. »Ruht Euch ein wenig aus, danach können wir weitersprechen.«
Doch die Äbtissin schüttelte erneut den Kopf. »Dafür ist keine Zeit, Mädchen – ich habe dir noch so viel zu sagen, und ich spüre ja, dass wir bald schon …« Sie unterbrach sich abrupt.
Was würde ihnen bald schon geschehen? Klara wollte es gar nicht wissen. Jedenfalls nicht jetzt. Viel lieber wollte sie noch eine Weile mit Mutter Sophia zusammen sein und endlich aus ihrem Mund erfahren, warum das Opus Spiritus ausgerechnet sie selbst und Amos ausgewählt hatte, um
Das Buch der Geister
zu erproben und in Sicherheit zu bringen. An alles andere wollte Klara im Moment gar nicht denken. Nicht an ihre Verfolger, die früher oder später ihre Fährte wiederfinden würden. Nicht an die zusätzlichen magischen Kräfte, die
Das Buch der Geister
allem Anschein nach erweckte – auch wenn das nach Mutter Sophias Überzeugung ganz unmöglich war. Und auch nicht daran, dass die gütige Äbtissin offenbar beständig Schmerzen litt und wohl nicht mehr lange leben würde.
»Wie schon gesagt – Kronus war ganz und gar auf der Seite der ›Dichter‹«, sagte die Äbtissin, »und so glaubten wir, dass wir uns um die ›Priester‹ und ihre viel weiter gehenden Vorstellungen auch nicht mehr groß zu kümmern bräuchten. Valentin würde schon dafür sorgen, dass
Das Buch
einzig und allein heilsame und hilfreiche magische Gaben in seinen Lesern erwecken könnte. Die ›Priester‹ konnten in Träumen von alter Magiermacht und -herrlichkeit schwelgen, so viel sie wollten:
Das Buch
würde sowieso nichts von dem enthalten, was sie für die Verwirklichung ihrer verstiegenen Pläne brauchten.«
Von irgendwo weiter unten im Haus drang der Klang heller Stimmen zu ihnen herauf. Es hörte sich an, als ob ein ganzes Dutzend Kinder im Chor singen oder beten würde. Doch Klara bekam es kaum mit – sie war mit ihren Gedanken bei dem, was die Äbtissin gerade gesagt hatte.
»Alte Magiermacht und -herrlichkeit«, wiederholte sie. »Darum also geht es den ›Priestern‹, wie Ihr sie genannt habt: dass sie zu mächtigen Magiern werden wollen, wie es sie in früherenZeiten gegeben hat? Aber wie soll das gehen? Und wer in der Bruderschaft gehört denn eigentlich zu diesen ›Priestern‹ – außer Trithemius und Faust?«
Die Äbtissin wurde noch ein wenig grauer im Gesicht, als sie Klara diese beide Namen nennen hörte. Erneut tupfte sie sich über Stirn und Wangen, ehe sie weitersprach. »Diese beiden gehören allerdings dazu – das vermutest du ganz richtig.« Sie nickte Klara anerkennend zu. »Lassen wir aber die restlichen Namen auch hier lieber beiseite«, fuhr sie fort, »oder so viel nur: In der Bamberger Bischofsburg habt ihr wohl noch den einen oder anderen ›Priester‹ getroffen – über den furchtbaren Herrn Faust hinaus.«
Ihre Finger krampften sich um das schweißfeuchte Tuch. »Ja, die alte Magiermacht und -herrlichkeit, worin könnte die
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