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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Kronus der Äbtissin irgendwann geschickt hatte, damit sie deren Wirkung an sich selbst erprobte.
    Vielleicht war es auch eine frühere Version von einer der vier Geschichten aus dem Buch – eine Version, die womöglich noch die eine oder andere unbeabsichtigte Beimischung von schwarzer oder zumindest von allzu starker Magie enthielt.
    Warum sonst war es ihr vorgekommen, als ob dieses Schriftstück sie regelrecht anspringen wollte wie eine giftige Kröte? Oder als ob es von sich aus sprechen, ja sogar schreien, ihr alles insGesicht schreien könnte, was in ihm niedergeschrieben war? So wie sie selbst auf einmal imstande gewesen war, aus Johannes Mergelin herauszudonnern, mit seiner Zunge, seinem Mund Bruder Meinolf ins Gesicht zu schreien.
    Klara musste krampfhaft schlucken. Sie rappelte sich wieder auf und legte sich ins Bett, ohne der mysteriösen Truhe nochmals einen Blick zu schenken.
    Vielleicht ist Kronus ja doch ein Fehler unterlaufen?, dachte sie. Sodass auch die Geschichten, die er in sein Buch aufgenommen hat, in ihren Lesern schwarzmagische Kräfte erwecken können – obwohl er genau das ja unbedingt vermeiden wollte? Die Gabe des Schadenzaubers oder die Fähigkeit, wie ein Dämon von anderen Menschen Besitz zu ergreifen …
    Sollte sie nicht nachher noch einmal mit Mutter Sophia über ihre Befürchtungen reden? Die Fähigkeit, wie ein Geist in andere Personen zu fahren, gehörte doch keinesfalls zu den Gaben, die
Das Buch
erwecken sollte! Aber vielleicht, dachte sie dann wieder – vielleicht war diese Fähigkeit ja auch deshalb in ihr wach geworden, weil Mutter Sophia ihr die erste und die zweite Geschichte so vorgelesen hatte, wie sie damals in Kronus’ Briefen stand?
    Später hatte Klara diese beiden Geschichten –
Vom Ritter, der seine Liebste hinter dem Spiegel fand
und auch
Von der Frau, die im Brunnen wohnte
– nochmals in der Fassung gelesen, in der Kronus sie schließlich in
Das Buch
aufgenommen hatte. Aber die Geschichten, die Mutter Sophia ihr vorgelesen hatte, unterschieden sich in einigen Details von den endgültigen Versionen – beispielsweise gab es in der ersten Geschichte ein Pferd mit weißem Fell, das in der endgültigen Fassung ein feines schwarzes Linienmuster aufwies, von dem jedoch in der Briefversion noch keine Rede war. Und womöglich lag es ja an derlei winzigen Unterschieden, ob ein und dieselbe Geschichte einzig heilsame magische Gaben oder eben auch schädliche Kräfte in ihren Lesern hervorrief.
    Doch so oder so würde sie es nicht über sich bringen, Mutter Sophia auf diese heiklen Punkte anzusprechen. Es würde unweigerlich wie ein Vorwurf klingen – und Klara spürte ja deutlich, dass die Äbtissin nicht mehr lange zu leben hatte. Da konnte sie die arme Frau doch nicht auch noch mit verschwommenen Verdächtigungen belasten, an die sie selbst nicht recht glauben mochte.
    Über diesem Hin und Her wurde Klara schließlich doch wieder so müde, dass sie bald darauf einschlief. Als sie zu sich kam, schwebte abermals eines jener Frauengesichter über ihr und lächelte sie an. Der Abend dämmerte schon. »Mutter Sophia wartet auf dich«, sagte die Frau. »Geh rasch hinüber – sie ist sehr schwach. Aber sie will dich unbedingt noch einmal sehen.«
    Beklommen erhob sich Klara und ging in die vordere Mansarde zurück. Ihre – oder eher wohl Adrians oder eigentlich Leanders – Schuhe standen ja ganz richtig neben dem Bett, aber die Filzmütze konnte sie noch immer nicht entdecken. Die hatte sie doch hoffentlich nicht unterwegs verloren – als sie vor dem durstigen Mann weggelaufen war oder später, im Gedränge des Heilig-Geist-Spitals?
    »Da bist du ja wieder, liebes Kind«, riss Mutter Sophia sie aus ihrer Grübelei. »Du siehst aus, als ob dich der Schlaf erfrischt hätte. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von mir sagen – aber Schluss jetzt mit diesem Altweiber-Gejammer. Setz dich zu mir, Klara, und lass mich rasch zu Ende bringen, was ich vorhin begonnen habe. Höre gut zu. Ich komme jetzt auf dich zu sprechen und auf die anderen ›Auserwählten‹.«
    Klara ließ sich erneut auf dem Boden neben dem Sessel der Äbtissin nieder. Sogleich fasste Mutter Sophia nach ihrer Hand und hielt sie fest.
    »Zumindest in einem Punkt waren wir uns beim Opus Spiritus alle einig«, sagte sie. »Die magische Wirkung des
Buchs der Geister
sollte sorgsam erprobt werden, bevor wir es drucken und in alle Himmelsrichtungen verbreiten würden. Bei der Frage, aufwelche Weise und durch

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