OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
fragte Amos.
Trithemius lächelte versonnen. »Bruder Paulus war ein gestrenger Mann«, sagte er. »Mit den göttlichen Vorschriften hat er es genauer genommen als jeder andere hier im Kloster. Nach seiner Überzeugung ist es eine Todsünde, überhaupt nur einen einzigen Buchstaben nach eigenem Gutdünken zu schreiben, geschweige denn ganze Wörter oder gar Sätze. Den Schriftzeichen wohnt eine göttliche Kraft inne, so ließ sich Bruder Paulus bei jeder Gelegenheit vernehmen – und niemand außer Gott im Himmel und einigen Engeln habe das Recht, Schriftzeichen zu verwenden.«
Abt Trithemius hob die Schultern und schaute Amos auf eine Weise an, als wollte er um Verständnis für einen schrullenhaften Mitbruder bitten. »Von dieser strengen Regel«, fuhr er fort, »nahm Frater Paulus nur einige wenige auserwählte Menschen aus – eigentlich nur die großen Seher und Propheten der Heiligen Schrift. Denn die, so wurde er nicht müde zu versichern – die hätten ja schließlich nur aufgeschrieben, was Gott selbst oder einer Seiner Engel ihnen in die Feder diktiert habe. Wer sich dagegen erdreistete, eigene Gedanken oder Fantastereien aufzuschreiben, der hatte laut Bruder Paulus schon mit dem ersten Federstrich seine Seele an den Teufel verloren. Und so sah es Paulus als seine heilige Pflicht an, die Buchstaben zu zermartern, damit sie nicht länger imstande sein würden, sich zu sündigen Wörtern und Sätzen zu vereinigen.«
Ratlos schaute Amos von Trithemius zu dem Zeichengewirr an den Wänden. Er verstand einfach nicht, was der Abt ihm mit dieser Geschichte sagen wollte. Schließlich hatte Trithemius selbst sein Leben lang genau diesen Vorschriften zuwidergehandelt. Erhatte mit eigener Hand eine Vielzahl von Büchern verfasst oder aus alten und entlegenen Sprachen übersetzt. Er hatte hunderterlei Bücher aus aller Welt zusammengetragen und seine Mitbrüder in Sponheim angewiesen, unzählige Abschriften von diesen Büchern anzufertigen – bis die Mönche im Kloster Sponheim ihn mithilfe des Inquisitors und der Purpurkrieger davongejagt hatten und die ganze Bibliothek ein Raub der Flammen geworden war. Und vor allem hatte Trithemius tatkräftig mitgeholfen, damit Valentin Kronus
Das Buch der Geister
schreiben konnte.
»Aber Ihr, Herr«, sagte Amos schließlich, »Ihr seid doch nicht der gleichen Ansicht wie dieser Bruder Paulus?«
Trithemius ließ erneut sein stilles Lächeln aufleuchten, durch das er Kronus so ähnlich sah. »Nun ja«, antwortete er und sein Stimmklang machte alle Ähnlichkeit wieder zuschanden, »ich fasse den Kreis der Auserwählten jedenfalls etwas weiter als der gestrenge Eremit.«
Er wandte sich ab und nahm auf der Steinbank Platz. »Setz dich zu mir, Amos. Hast du schon etwas gegessen und getrunken? Das ist gut. Lass uns jetzt über
Das Buch
sprechen. Und über euch – Klara und dich. Warum ist sie nicht mit dir gekommen? Nun, ich weiß schon – du brauchst mir nichts zu erklären.« Er ging mit einem Lächeln darüber hinweg, ehe Amos auch nur den Mund aufgemacht hatte.
Amos war unendlich erleichtert. Der Abt schien zu wissen, dass Klara so bald wie möglich nachkommen wollte, und auf einen Tag früher oder später kam es ihm offenbar nicht an. Dieser Trithemius war doch wahrlich kein so arger Mann, wie er selbst und Klara das befürchtet hatten. Und der weise Abt sollte die Mordbrenner angestiftet haben, ihre Eltern umzubringen? Auch dieser Verdacht kam Amos mit einem Mal unglaubwürdig vor. Bestimmt steckte jemand ganz anderes hinter diesen Gräueltaten und Trithemius hatte erst davon erfahren, als es zu spät war! Denn mit einem Mann, der die Eltern wehrloser Kinder ermorden ließ, nur um diese Kinder unter seine Kontrolle zu bekommen– mit einem solchen Scheusal hätten Kronus und Mutter Sophia doch niemals gemeinsame Sache gemacht.
Eilends legte sich Amos alles so zurecht und währenddessen sah ihn Trithemius aufmerksam an. Ob der Abt mitbekommen hatte, was ihm eben durch den Kopf gegangen war? Und wenn schon, dachte Amos – auch Kronus hatte ja seine Gedanken oftmals mitgelesen, auch wenn er es in halbem Ernst immer abgestritten hatte.
»Sie geben den Kampf noch immer nicht verloren«, sagte Trithemius in seine Gedanken hinein. »Cellari und seinen Spürhund, diesen Skythis, meine ich – sie werden alles daransetzen, um
Das Buch
doch noch in ihre Gewalt zu bekommen.« Er schüttelte leicht den Kopf und sah Amos lächelnd an. »Nun glaube aber bitte nicht, dass ich in die
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