OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Zukunft schauen könnte wie ein biblischer Seher – ich rechne bloß zwei und zwei zusammen. Warte nur ab – in ein paar Tagen sind sie alle hier. Die Herren Dominikaner und die Männer in den purpurroten Uniformen. Und natürlich die Bücherjäger, die mit ihren Lederpanzern selbst ein wenig wie geschundene alte Bücher aussehen.«
Er schenkte sich einen Becher halb voll mit Wasser, schwenkte ihn jedoch nur in seiner Hand, ohne daraus zu trinken. »Mach dir aber bitte keine Sorgen, Junge«, fuhr er fort, »hier bei mir bist du in Sicherheit. Du musst mir nur versprechen, dass du diese Einsiedelei fürs Erste nicht verlassen wirst.« Er unterbrach sich kurz und sah Amos erwartungsvoll an. Doch wiederum sprach er mit einem Lächeln weiter, bevor Amos auch nur den Mund geöffnet hatte. »Auch Klara wird rechtzeitig eintreffen und sie wird hier gleichfalls vollkommen sicher sein«, sagte er in ernstem Tonfall. »Das garantiere ich euch beiden – ja, ich bin bereit, es dir auf der Stelle zu schwören, falls du Wert darauf legst.«
Und abermals wiederholte sich das eigentümliche Schauspiel: Der Abt sah Amos auffordernd an, lächelte kurz und redete schon wieder weiter – so als ob er den Schwur bereits geleistet hätte. »Du siehst also«, fuhr er fort, »ich habe alles bedacht.Nichts Arges wird euch widerfahren, solange ihr nur meinen Weisungen folgt.«
Er führte den Becher an seine Lippen und nippte kurz daran. »
Das Buch
will ich übrigens gar nicht haben«, sagte er dann, »jedenfalls jetzt noch nicht. Behalte es ruhig und lies die vierte Geschichte. Bis es da draußen so richtig losgeht, ist ja noch ein wenig Zeit.« Er machte eine vage Handbewegung zu einem der Fenster hin – so als ob die Purpurkrieger da draußen im Gebüsch schon auf der Lauer lägen. »Zeit genug«, fügte er hinzu, »dass auch Klara
Das Buch
zu Ende lesen kann – ihr werdet schon sehen.« Er machte Anstalten, sich von der Steinbank zu erheben.
»Wartet noch, Herr.« Amos schaute ihn bittend an. »Wie sehen Eure weiteren Pläne aus? Kronus wollte immer, dass
Das Buch
gedruckt und in alle Himmelsrichtungen verbreitet wird, damit die Bücherjäger niemals alle Exemplare an sich bringen und vernichten können.« Er wand seine Hände ineinander, halb flehentlich und halb vor Verlegenheit. »Sagt mir doch, Herr – ist das auch Euer Plan?«
Trithemius lächelte ihm gütig zu. »Kronus wäre stolz auf dich, mein Sohn. Und glaub mir, ich bin es nicht weniger.« Er schwang seine Beine über die Bank nach hinten und stand auf. »Aber Kronus würde bestimmt auch verstehen«, fuhr er fort, indem er halb über die Schulter zu Amos zurücksah, »dass wir seine ursprünglichen Pläne den Umständen ein wenig anpassen müssen. Gegenwärtig können wir
Das Buch
nicht so ohne Weiteres drucken lassen – und daran ist Valentin Kronus ja bekanntlich nicht ganz schuldlos. Warum hat er auch eine Abschrift zum Reichszensor schicken müssen? Das war eine allzu kühne, ja übermütige Tat. Wenn der Kuckuck den Amseln ein Ei ins Nest legen will, darf er sie ja vorher nicht derart aufschrecken. Zumindest aber muss er danach warten, bis sich die Amseln wieder ein wenig beruhigt haben. Und genauso werden wir es auch machen.«
Offenbar liebte es Trithemius, in Bilderrätseln zu reden. Was hatte es mit den Amseln und dem Kuckuck nun wieder auf sich?Wahrscheinlich hatte der Abt sagen wollen, dass er
Das Buch
heimlich drucken lassen würde, wenn die Bücherjäger die Suche nach Kronus’ Original irgendwann aufgegeben hätten. Doch wann das sein würde und ob dieser Tag überhaupt jemals kommen würde, blieb dabei ganz ungewiss.
Aber wäre es nicht am sichersten, überlegte Amos, jenem Hebedank das Manuskript zu überbringen? Der Setzer aus der Koberger’schen Druckerei war ein ehrenwerter Mann, bei dem gewiss niemand ein so verdächtiges Buch suchen würde. Und Hebedank würde schon wissen, zu welchem Zeitpunkt und in welcher wohlverborgenen Werkstatt er das Geisterbuch heimlich drucken lassen könnte – schließlich hatte Kronus ihn auf genau diese Aufgabe vor langer Zeit schon vorbereitet.
Doch obwohl Amos der Name Hebedank auf der Zunge brannte, schluckte er ihn wieder herunter. Mit einem Mal kam es ihm vor, als ob Trithemius von dem Setzer nichts wusste und auch besser nichts wissen sollte. So sah er nur wortlos zu, wie Trithemius zur Tür ging und seine Hand auf die Klinke legte. »In der Zwischenzeit«, erklärte der Abt in beiläufigem Tonfall,
Weitere Kostenlose Bücher