OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
dann auf dem Weg nach Nürnberg ist, können wir beide endlich die dritte Geschichte lesen.«
Sie strahlte ihn an und Amos konnte einfach nicht anders – er beugte sich noch weiter vor und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund. Ihnen beiden wurde ein wenig schwindlig, von dem Kuss und weil sie überhaupt keine Ahnung hatten, welche magischen Kräfte die dritte Geschichte –
Vom Felsen, der ein Fenster war
– in ihnen erwecken würde.
Und weil sie laut Kronus in Liebesdingen von da an frei sein würden.
4
I
mmer enger zog sich
die Schlucht zusammen, in wilden Krümmungen wanden sich Bach und Pfad zwischen den Felswänden hindurch. Doch die vielerlei Fuß- und Schuhabdrücke vor ihnen in der weichen Erde bewiesen, dass sie der wilden Horde immer noch auf den Fersen waren.
Sie folgten einer weiteren Rechtskehre – dahinter endete der Pfad vor einem Durcheinander aus Gestrüpp, Ästen, Dornenranken. Im ersten Moment glaubte Amos, dass ein entwurzelter Dornbusch vom Steilhang herabgestürzt sein müsste, doch dann sah er die beiden Räuber, die hinter dem Verhau auf der Lauer lagen.
»Zurück, Klara – schnell, Johannes!«, rief er, aber das war leichter gesagt als getan. Auf dem schmalen Uferpfad konnten sie ihre Reittiere nicht so einfach wenden, und ehe Johannes seinMuli dazu gebracht hatte, auch nur einen einzigen Schritt nach hinten zu machen, waren die beiden Männer durch das Gestrüpp zu ihnen durchgebrochen und richteten ihre Gewehre auf sie.
»Runter von den Viechern!«, kommandierte der Ältere der beiden, ein stämmiger Glatzkopf mit langem Silberbart. »Und raus mit der Sprache – was habt ihr hier zu suchen?«
Amos und Klara glitten folgsam von der Füchsin. Einige Schritte hinter ihnen mühte sich auch Johannes von seinem Muli. »Euch suchen wir«, sagte Amos. »Aber habt keine Sorge – wir kommen in friedlicher Absicht.«
»Uns sorgen – wegen zwei Milchbärten und einem Mädchen?« Der jüngere Räuber spuckte vor ihnen aus. »Das fehlte noch.« Die verfilzte Haarmähne reichte ihm bis auf die Schultern, und sein Obergewand war so zerlumpt, dass seine schwarz behaarte Brust darunter hervorsah.
Trotz ihres wilden Äußeren kamen die beiden Männer Amos nicht allzu furchteinflößend vor. Auf Burg Hohenstein hatte er mit weit wüsteren Kerlen zusammen hausen müssen – der Räuberbande seines Onkels Heribert, der Hohenstein in ein Raubritternest verwandelt hatte. Diese beiden Männer dagegen hielten ihre Gewehre so ungelenk in den Händen, als ob sie noch nie einen Schuss damit abgefeuert hätten – darauf würde er es allerdings lieber nicht ankommen lassen.
»Umso besser«, sagte Amos. »Dann bringt uns jetzt zu eurem Hauptmann – wir haben eine wichtige Botschaft für ihn.«
Die beiden Männer wechselten Blicke. »Einen Hauptmann gibt es bei uns nicht«, sagte der Ältere. »Wir sind schließlich keine Räuber.«
»Und habt trotzdem gestern da oben die Kutsche überfallen – warum?«
Der jüngere Mann stürzte vor und packte Amos beim Kragen. »Was weißt du davon, Bursche?«
»Ich war hinten im Wagen«, brachte Amos mit Mühe hervor. »Verdammt noch mal, jetzt hör schon auf, mich wie einen SackLumpen zu schütteln!« Er griff nach der Pratze des Mannes und riss sich los. Mit leisem Klirren fiel etwas zwischen ihnen zu Boden – der Augenstein aus dem Amulett, das Amos immer am Lederriemen um den Hals trug. Der ovale blaue Stein kollerte die Böschung hinunter, auf den gurgelnden Wildbach zu. Gleich würde er von der Strömung ergriffen und auf Nimmerwiedersehen davongewirbelt werden – da warf sich Amos zu Boden und bekam den Stein im letzten Moment zu fassen.
Als er sich wieder aufrappelte, war er an Händen und Weste mit Schlamm befleckt. Aber nicht deshalb starrten ihn die beiden Männer mit den wilden Bärten so entgeistert an. Ihre Blicke hafteten auf dem Amulett, das bei dem Gerangel unter seinem Kragen hervorgeglitten war. Es war nur ein schlichter Silberdraht, zu einem Dreieck gebogen, doch zusammen mit dem Augenstein stellte es das geheime Erkennungszeichen des Opus Spiritus dar.
Amos schob das blaue Oval in die Fassung zurück – mit den eingekerbten Rinnen an den Schmalseiten passte der Stein ganz genau in das Dreieck hinein. Mutter Sophia hatte das Amulett einst Klara gegeben, damit sie ihm notfalls beweisen konnte, dass sie ausgesandt worden war, um mit ihm zusammen
Das Buch der Geister
zu retten.
Auch die beiden Männer wussten ganz offensichtlich, was
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