OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
»Von mir aus gerne«, sagte er. »Aber lass uns erst mal hören, was Bruder Egbert weiter vorgesehen hat.«
Die Sonne stand noch hoch am Himmel. Eine kurze Rast würde sie alle erfrischen, doch danach konnten sie gut und gerne noch ein paar Stunden weitermarschieren. Das Heulen der Bluthunde gellte Amos noch immer in den Ohren. Je weiter sie ihre Verfolger hinter sich lassen würden, desto besser.
Er suchte Klaras Blick, aber sie schaute geistesabwesend an ihm vorbei. Ihre Augen waren schmal, sie wirkte konzentriert und bekümmert zugleich.
Sie spricht mit Johannes, dachte Amos. Wieder begann die giftigeSchlange Eifersucht in ihm emporzukriechen, doch im nächsten Moment wurde sie in einem Schwall reuiger Gefühle davongewirbelt. Mit aller Kraft habe ich mir gewünscht, dachte Amos, dass wir Johannes möglichst bald wieder loswerden – und jetzt ist dieser Wunsch auf grässliche Weise wahr geworden. Natürlich hatte er nicht gewollt, dass Johannes den Purpurkriegern in die Hände fiel, ganz zu schweigen von dem unheimlichen Frater Meinolf. Aber er hatte sich aus tiefstem Herzen gewünscht, dass sie Johannes schnell wieder loswürden – und genau das war nun passiert. Valentin Kronus hatte zwar niemals angedeutet, dass man mit der Gabe der Gefühlsmagie auch anderen Menschen schaden konnte, doch Amos kam sich dennoch schuldig vor – so als ob er durch seinen tief empfundenen Wunsch einen Schadenzauber bewirkt hätte.
»Er ist bei Bewusstsein«, sagte Klara. »Aber es geht ihm schlecht. Sie haben ihn gefesselt und zerren ihn an einem Strick hinter sich her – durch die Felsgänge zurück zum Fluss. Offenbar haben sie dort ihre Pferde zurückgelassen.«
»Also haben sie es wohl aufgegeben, einen Weg durch den Berg hindurch zu suchen«, antwortete Amos. »Stattdessen wollen sie außen herumreiten, um sich hier drüben aufs Neue an unsere Fährte zu heften.«
Vorwurfsvoll sah Klara ihn an. »Johannes wird sterben, wenn nicht sehr bald ein Wunder geschieht.« In ihren Augen glitzerten Tränen. »Er hat mir gestern gesagt«, fuhr sie stockend fort, »dass er seit Langem höchstens ein paar Bissen am Tag herunterbekommt. Er ist halb verhungert, und er wird einfach tot umfallen, wenn sie ihn weiter so behandeln.«
Amos senkte seinen Kopf. Er wusste einfach nicht, was er darauf antworten sollte. Und vor allem wollte er nicht, dass Klara ihn in dieser Weise ansah – voller Mitgefühl für den armen Johannes und voll unausgesprochener Vorwürfe gegen ihn selbst.
Glücklicherweise kam nun Bruder Egbert über die Lichtung zu ihnen herüber. Der alte Mann wirkte erschöpft, aber mehr noch erleichtert und zufrieden. Er machte Leander ein Zeichen und derblonde Junge trottete fügsam davon. »Um euren Gefährten tut es mir aufrichtig leid«, sagte Egbert, »aber bitte glaubt mir eines: Es hätte alles noch sehr viel schlimmer kommen können. Diese Soldaten waren zu allem entschlossen. Wenn Walter ihnen den Weg nicht eben noch rechtzeitig abgeschnitten hätte – sie hätten ein Blutbad angerichtet.« Er unterbrach sich und sah sinnend vor sich hin, mit der Rechten schwer auf seinen Stock gestützt. »Den Steinmetz trifft keine Schuld«, fuhr er fort. »Er musste so handeln, wie er es getan hat. Seht ihr das auch so?«
Klara und Amos nickten.
»Dann sagt ihm bitte auch, dass er alles richtig gemacht hat – er fühlt sich furchtbar schuldig und bezichtigt sich unentwegt, dass er versagt und einen hilflosen Menschen, der ihm anvertraut war, im Stich gelassen hätte. Dabei hat in Wahrheit er allein uns alle gerettet.«
»Ich spreche mit ihm«, sagte Amos. »Niemanden trifft irgendwelche Schuld an dem, was mit Johannes passiert ist – außer mir.«
Klara sah ihn bekümmert an, blieb jedoch still.
Bruder Egbert schaute aufmerksam von Amos zu Klara. Eine Bemerkung schien ihm auf der Zunge zu liegen, aber er schluckte sie wieder herunter. »Wir legen hier nur eine kurze Rast ein«, sagte er, nachdem er sich umständlich die Kehle frei geräuspert hatte. »Ihr müsst hungrig sein – geht einfach zu Sarah hinüber und lasst euch ein paar Happen geben.« Er deutete mit seinem Stock zur anderen Seite der Lichtung, wo die Frau des Steinmetzes mit einigen weiteren Frauen Brot verteilte. »Dort hinter dem Felsen entspringt eine Quelle – da könnt ihr euren Durst stillen.« Er deutete zu einem bizarren Gesteinsbrocken, der neben der Lichtung zwischen Bäumen und Büschen emporragte. Zumindest von ihrem Standpunkt aus ähnelte
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