OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Meinolf, die Purpurkrieger und Hannes Mergelin längst wieder auf ihren Reittieren saßen (beziehungsweise zum Halbmond gebogen hingen) und südwärts weiterritten, ins zerklüftete Creußener Land hinein.
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D
er Kalvarienberg südlich von
Creußen war ein Wallfahrtsort für fromme Pilger aus dem Frankenland und weit darüber hinaus. Wer am »Schmerzlichen Freitag« – dem Tag der Kreuzigung Christi – an der Heiligen Messe auf dem Creußener Kalvarienberg teilnahm, erhielt einen Ablass von nicht weniger als drei Tagen auf die Sühnezeit, die er nach seinem Tod im Fegefeuer verbringen musste. Kein Wunder also, dass diesen steil aufragenden Basaltbrocken vor allem zu Ostern zahlreiche Pilger erklommen, obwohl es droben in luftiger Höhe nicht einmal eine Kapelle gab. Die Heilige Messe fand dort selbst bei eisigem Wind und peitschendem Regen unter freiem Himmel statt.
Sehr ähnlich hatten es schon Tausende Jahre vorher auch die Heiden gehalten, bei denen der Kalvarienberg allerdings noch Schwarzer Brocken hieß. Angeblich hatten Heidenpriester noch bis ins 11. Jahrhundert hinein auf diesem Schwarzen Brocken ihre Götzen angerufen, Geister beschworen und die Creußener Landleute durch wundersame Heilungen zum Staunen gebracht. Das erzählte jedenfalls Elias seinem Reisegefährten Meinolf, und Hannes hörte zwischen Traum und Wachen ihrem Zwiegespräch zu.
»Du stammst von hier, oder?«, fragte Meinolf irgendwann.
Der vatikanische Offizier nickte und der Dominikaner beugte sich im Reiten zu ihm hinüber und klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Sag das doch gleich – ich hatte schon angefangen, mich um dich zu sorgen.« Er lachte auf. »Ein Kirchenkrieger, der sich scheut, den Teufel im Feuer zu fangen – wie sollte das zugehen? Aber jetzt verstehe ich: Du wolltest deine Heimatstadt schonen.«
Elias’ Lächeln wurde für einen Moment düster. »Die Hussiten haben Creußen schon genügend verwüstet. Manches Bauwerk dort liegt bis heute in Trümmern. Aber glaub mir, Meinolf – ich hätte jede andere Stadt genauso geschont.«
Der Dominikaner sah ihn aus schmalen Augen durchbohrend an. Auf seinen Wangen blühten erneut jene Feuermale auf, und sein weißer Hengst begann so nervös zu tänzeln, als ob sich die Unruhe seines Herrn auf ihn übertragen hätte. Was allerdings nicht allzu verwunderlich wäre – auch Hannes spürte, wie es in dem hellhäutigen Dominikaner zu kribbeln und zu brodeln begann.
Das fruchtbare Tal des Roten Mains zu ihrer Rechten, ritten sie durch waldige Hügellandschaft aufwärts, den Kalvarienberg vor sich wie einen urtümlichen schwarzen Riesenturm. Noch immer führte Meinolf das Maultier am Zügel und in ungewissen Abständen warf er dem darauf gebundenen Hannes einen sinnenden Blick zu. So als ob er sich innerlich schon zurechtlegte, worüber er Hannes bei nächster Gelegenheit befragen würde – oder sogar, als würde ihm der Hilfsschreiber Mergelin immer verdächtiger, je länger er über ihn nachdachte.
»Wir sind im Krieg, Elias – gegen den Satan und seine Dämonenscharen«, sagte Meinolf, nachdem er und der Offizier längere Zeit schweigsam nebeneinander hergeritten waren. »Ein Übermaß an Skrupeln und Zartgefühl würde nur unseren Feinden nützen – dem fleischgewordenen Teufel Kronus und seiner höllischen Bruderschaft.«
Elias schüttelte den Kopf. Sein Lächeln war wieder strahlend wie eh und je, nur seine Augen waren so entzündet, als ob er insgeheimbitterlich geweint hätte. »Das weiß ich so gut wie du«, sagte er in friedfertigem Tonfall, »und für übertriebenes Zartgefühl bin gerade ich wahrlich nicht bekannt. Aber ich bin eben Offizier und darf mich nicht von Augenblickseinfällen leiten lassen – gerade dann nicht, wenn sie sich einem aufdrängen wollen wie Huren in der Hafenschenke.«
Die Feuermale auf Meinolfs Wangen wurden noch glühender. »Was willst du damit sagen?«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
Elias schüttelte erneut den Kopf und lächelte. »Du bist jung und ehrgeizig. Denk doch einmal kühlen Blutes darüber nach. Was wäre denn passiert, wenn ich gestern deinem Vorschlag gefolgt wäre? Dann hätten wir das Dornengestrüpp mit Mann und Maus niedergebrannt und würden jetzt glauben, dass die Flammen auch unsere beiden kleinen Teufel mitsamt ihrem Höllenbuch verschlungen hätten.«
Er sah Meinolf von der Seite an und für einen kurzen Moment kam sein Lächeln Hannes geradezu höhnisch vor. »Ist dir niemals der Gedanke
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