Orangenmond
durch den Lichtkreis. Plötz lich kamen die Sätze, kollerten ungeordnet, wie große Steine, aus ihren Mündern:
»Es ist irgendwie traurig, das zu sehen.«
»Verdammt viel kaputt.«
»Und so viel geklaut.«
»So dreckig.«
»Was fünf Jahre so ausmachen.«
»Und kein Wasser.«
»Doch, in UNO! Auf dem Boden.«
»In der Küche kommt es aus dem Hahn, aber es stinkt!«
»Das arme tote Tierchen.«
»Und zwar bestialisch.«
»Niemand hat es begraben.«
»Wie ekelhaft.«
Danach verfielen sie für ein paar Minuten wieder in dump fes Schweigen.
»Was ist denn nun mit diesem Mimmo? Habt ihr ihm nicht schon von Hamburg aus sagen können, wann wir kommen?«
Sie sagt »ihr«, meint aber mich allein, dachte Eva. »Doch! Ich konnte ihm nur nicht genau sagen, wann.«
Helga zog die Augenbrauen ungläubig hoch.
»Wir hatten eben vorher noch ein paar andere Ziele!« Georg schaute in sein Weinglas, als ob dort alle Städte aufgelistet wären. Forlì, Pesaro, Perugia, Rom.
»Du, Georg. Du allein. Es waren deine Ziele.« Eva merkte, wie ihr Herz wieder anfing, schneller zu klopfen. Diesmal vor Ärger.
»Na, ob ihr die Trullos so loskriegt, Kinder … und ich habe noch immer nicht ganz durchschaut, nach welchen Kriterien wir da durchs Land geeiert sind.«
»Geeiert, Oma?!«
»Nenn mich bitte Helga, ja, Schätzchen? Wir haben ja noch nicht mal den hübschen Schauspielerkollegen getroffen. Den hätte ich wirklich zu gerne einmal kennengelernt!«
Emil lief hinüber zum Trichter.
»Wegen des hübschen Schauspielerkollegen habe ich extra noch mal Jannis anrufen müssen.« Warum rechtfertige ich mich eigentlich?, dachte Eva.
»Na, war doch auch schön, ihn noch mal zu hören, oder?«
»Wir hatten uns schon verabschiedet, danke für deine Fürsorge, Georg! Jannis hat überall herumgefragt, durch ihn wissen wir wenigstens, dass Elio bis übermorgen in Milano dreht und dann irgendwo unterwegs ist.«
»Also auf ins Hotel.« Helga trank ihr Glas mit einem Schluck leer. »Ich wollte mich ja nicht sofort beklagen, aber ich fühle mich hier wie in einer Leichenhalle bei all den Toten!«
Eva schnappte nach Luft. Sie hatte gedacht, sie würde Helga kennen und seit Rom ein bisschen besser verstehen, doch ihr Mangel an Sensibilität versetzte ihr wieder einmal einen Schlag in ihren ohnehin schon flauen Magen.
»Helga!«, rief sie und war selbst erschrocken über die Lautstärke ihrer Stimme. »Kannst du deine Gedanken auch mal für dich behalten!? Ich möchte sie nämlich nicht dauernd hören müssen!«
»Du willst ins Hotel, Mutter? Bitte!«, setzte Georg hinzu. »Niemand hält dich auf, wir hätten dich schon gleich in Forlì lassen sollen!« Er drehte sich zu Eva: »Und du? Danke, dass du mir in den Rücken fällst. Ich habe dich gefragt, und du hast gesagt, du hilfst mir.«
»Ich helfe dir, und wie ich dir helfe! Was tue ich denn sonst anderes?«
»Läufst mit Jannis durch Rom? Und lässt mich mit Konrad allein?«
»Oaaah … Nee, ne? Jetzt wirst du ungerecht! Ich glaub, ich spinne.« Sie zwang sich, etwas leiser zu sprechen. »Das Ganze war eine blöde Idee, Georg, gib es endlich zu! Was haben wir? Eine Bierflasche, ein blutiges Taschentuch, ein angebissenes Hörnchen. Aber es wird nichts dabei rauskommen, das garantiere ich dir.«
Helga zuckte mit den Schultern. »Ich verstehe zwar kein Wort, aber das ist ja eine tolle Stimmung hier …«
»Stimmung? Stimmungen sind da, um sie mit Krawumm zu zerstören, Mutter, das dürfte dir doch bekannt vorkommen, das kennst du ja noch vom letzten Mal.«
»Reden wir jetzt wieder von der Hochzeit?«
»Allerdings!«
»Warum reitest du eigentlich immer noch auf der alten Geschichte rum, Georg?«
»Weil du dich nie, nie, nie dafür entschuldigt hast, Helga! Nie!« Georg war aufgesprungen.
»Nicht!?«
»Nein, verdammt!«
»Oh, das tut mir leid.«
»Emil!«, rief Eva.
Auch die beiden Streitenden sahen sofort zu Emil hinüber, der nah am Trichter stand und sich jetzt vorbeugte. Georg stand auf. »Pass auf, dass du …«, setzte er an, doch weiter kam er nicht. Emil hob die Arme seitlich und drehte sie hektisch wie Windmühlenflügel, als ob er gleich hineinkippen würde.
»Emil!«, schrie Georg und rannte los. Doch bevor er bei ihm ankam, machte Emil einen kleinen Schritt zurück und grinste.
»Warum tust du das?!«, rief Georg, der knapp vor ihm zum Stehen gekommen war. »Damit macht man keinen Spaß, verdammt noch mal, das Ding ist tief!«
»Ich wollte, dass ihr aufhört.«
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