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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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sich neben vielen bunten Fahnen das Schild mit der Aufschrift Camping Marinella spannte, und kamen zu der Unterführung.
    »Hier war das mit dem Motorroller?«
    »Ja. Sergio und sein Freund Massimo haben uns mitgenommen, obwohl mein Vater es verboten hatte.«
    Dass Sergio nach dieser vergangenen Nacht am Strand so komisch zu mir war, werde ich dir nicht erzählen, dachte sie. Gott, war ich naiv damals mit meinen sechzehn Jahren. Sind die Mädchen heute auch noch so ahnungslos in dem Alter? Ich war enttäuscht. Fühlte sich das immer so an? Deswegen machte die Welt so ein Theater? Ich hatte Angst, war wütend auf ihn, war gleichzeitig verliebt, wusste nicht, was ich tun sollte.
    »Da war Sand in der Kurve, genau hier, Massimo ist mit den kleinen Rädern des Rollers ins Rutschen gekommen und dann gegenüber an die Mauer geprallt.«
    Georg sah sich um. »Hätte auch jemand in diesem Moment um die Kurve kommen können.«
    »Ja. Milena ist heruntergefallen, der Roller und Massimo auf sie, der Lenker hatte sich kurz in ihre Seite gebohrt. Nicht schlimm, eine Schürfwunde am Knie und eine am Ellenbogen, nur ein großer Schreck. Massimo ärgerte sich über den kaputten Blinker, dann hauten die Jungs ab. Ich habe Milena zum Wohnwagen gebracht. Sie war merkwürdig still. ›Es ist doch nichts passiert, Milli. Lach mal, es ist doch nichts passiert!‹, habe ich immer wieder gesagt.« Eva starrte auf ihre perlmuttfarben lackierten Zehennägel, die aus den Sandalen hervorlugten, und die Straße darunter. Auch an dem heutigen Tag hatte der Wind Sand in die Unterführung getragen.
    »Ich habe ihr das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen von dem Sturz, und wir hatten Glück: Annegret und Manfred spielten mal wieder mit irgendwelchen Leuten Doppelkopf. Runde um Runde. Annegret lachte zu laut, wenn sie einen Stich nach Hause brachte, wir hörten sie schon vorn bei den Waschräumen. ›Hallöchen!‹, riefen sie nur und sahen kaum hoch.«
    Georg runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
    »In der Nacht erwachte ich davon, dass Milena vor meiner Schlafbank stand und an meinem Ärmel zupfte. ›Du musst mir helfen Eva, ich sterbe! Ich sterbe wirklich!‹ Sie war so bleich wie nie zuvor im Gesicht. ›Ich fühle mich so schwach‹, sagte sie, ›und mein Herz rast so doll.‹ Ich klopfte einladend auf das Polster, sie legte sich zu mir auf meine Bank. Wir schliefen damals rechts und links vom Esstisch, das ging gerade noch so, meine Füße hingen schon in der Luft, wenn ich mich ausstreckte.«
    Eva seufzte. Meine Gedanken kreisten auch dort auf der Bank nur um mich und Sergios rücksichtslosen Schwanz, der mich überall aufgescheuert hatte, dachte sie beschämt. Ich sah wandernde Spermien, die sich alle zugleich auf eine wehrlose Eizelle stürzten. Meine Eizelle. Was sollte ich tun, ich war zu keinem anderen Gedanken fähig, was sollte ich bloß tun, wenn es tatsächlich passiert war?
    »Und dann?«, fragte Georg. »Ich weiß, du hast mir das schon oft erzählt, aber jetzt kann ich es mir ganz anders vorstellen.«
    »Ich weiß nicht, auf einmal bekam ich Panik. Vielleicht lag es daran, dass ihr Wimmern schwächer wurde und nur noch ein unregelmäßiges leises Stöhnen war. Ich mach te jedenfalls das Licht an, weckte unsere Eltern und erzählte alles. Obwohl Milena murmelte, sie wolle einfach nur schlafen, und mein Vater immer noch hinter dem Vorhang auf dem großen Elternbett saß und keinerlei Anstalten machte, sich etwas über den Schlafanzug zu ziehen, bestand ich darauf, sofort mit ihr ins Krankenhaus zu fahren.«
    »Da haben sie ihr die Milz entfernt.«
    »Eine halbe Stunde später und sie wäre verblutet, sagten die Ärzte, aber das weißt du ja auch schon. Hier ist es passiert.« Eine lange Minute sagte keiner von ihnen etwas. Dann wandte Georg sich um und ging die Auffahrt hoch, Richtung Meer. Erst als er sich umdrehte und auf sie wartete, riss sie ihre Füße vom Asphalt los und folgte ihm.
    »Du hast ihr das Leben gerettet!«
    Diesen Satz hätte ich damals gern von meinen Eltern gehört, dachte Eva. »Das sahen manche Leute aber anders. Zunächst mal trompeteten unsere Eltern herum, Milena und ich hätten ihnen gehörig den Urlaub versaut. Sie lachten und taten, als sei alles gar nicht so schlimm.« Eva imitierte die Stimme ihrer Mutter: »Das Dumme ist nur: Wir können jetzt hier nicht weg! Und das Geschäft? Was ist damit? Wir sind schließlich selbstständig!« Sie räusperte sich, das hohe Sprechen hatte ihre Kehle ganz

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