Orangenmond
dem Haus gelaufen.
»Hier, ein Schälchen mit alici marinate, das ist ein ganz spezieller Fischsalat, molto speciale, darf nur ich machen, habe extra eine Lizenz dafür.« Er reichte Helga die Tüte v orn in den Wagen. Dann bedeutete er Eva, ihr Fenster her unterzukurbeln.
Er beugte sich zu ihr. »Weißt du, das mit Anna war wirklich nicht so wichtig!«, sagte er langsam und vertraulich. Sein Italienisch war nun bestens zu verstehen. »Ich hätte viel lieber deine Schwester geknallt!«
Eva schwieg, guckte hinüber zu Emil, der sie mit seinen grünen Augen beobachtete, und lächelte ihn an. »Kannst fahren!«, sagte sie zu Georg, ohne Sergio noch einmal anzuschauen. Georg setzte zurück, fuhr durch die Einfahrt, schlug das Lenkrad links ein.
»Helga, gibst du mir mal die Tüte?«, fragte Eva mit der neutralsten Stimme, zu der sie in der Lage war. Sie nahm sie entgegen, holte den weißen Plastikbehälter heraus und ließ ihn am ausgestreckten Arm aus dem Fenster hängen, schon kamen sie langsam wieder an der Toreinfahrt vorbei. So hoch sie konnte, schleuderte Eva die Schachtel mit den speziell marinierten Sardellen durch die Luft. Ihre lähmende Angst vor einer Schwangerschaft, das schlechte Gewissen, weil sie sich damals nicht rechtzeitig um Milena gekümmert hatte, ihre jahrelange Verzweiflung über Milenas vermeidbaren Tod, ihre frische Wut über ihr unschönes erstes Mal – all das flog in hohem Bogen auf Sergio zu und landete vor seinen Füßen. Der durchsichtige Plastikdeckel öffnete sich. Den Rest sah Eva nicht mehr.
»Auf die schönste Sache der Welt!«, murmelte sie.
12
Am nächsten Morgen zog Eva um acht Uhr schon ein paar Bahnen im Pool, duschte ausgiebig in ihrem hübschen Bade zimmer und lief danach angezogen, mit immer noch feuchten Haaren, durch den Garten. Die Bienen summten bereits in den dicken Hortensienblüten, ein bisschen Tau war noch auf manchen Blättern zu sehen, das Kiefernwäldchen roch köstlich nach Harz, während sich die Schweinezucht im mer noch olfaktorisch zurückhielt. Eva stand lange vor einem riesigen Spinnennetz, dessen fein gesponnenes Gewebe sich weiß wie Zuckerwatte zwischen den Zweigen eines gigantischen Rosmarinstrauchs ausbreitete. Ich möchte am liebsten hierbleiben, dachte sie, zwei Wochen lang nur genießen und an nichts denken, nur jeden Morgen schauen, ob das Spinnennetz noch da ist. Meine Güte, wie sentimental, schauen, ob das Spinnennetz noch da ist! Wenn du ehrlich bist, möchtest du doch nur mit Georg ins Bett und endlich mal ganz viel Zeit haben. Mit ihm knutschen, mit ihm schlafen, vögeln, Liebe machen, danach reden, lachen, verschlungen ineinander dösen, noch mal einschlafen, gemeinsam mit ihm aufwachen, wieder Liebe machen, ihn nah bei dir haben, ihn ganz für dich alleine haben! Stimmt, gab sie sich selbst zur Antwort, aber bitte ohne Mühe, Anstrengung, lange Erklärungen und schlechtes Gewissen. Wir sind zusammen und lieben uns. Basta. Die einfachste Sache der Welt. Stattdessen scheint diese Reise nur darauf angelegt, dass ich mich um Georgs Probleme, Georgs Sohn, Georgs Mutter kümmere und an die Plätze meiner verdrängten Vergan genheit geführt werde. Sie hatte plötzlich Lust, das Spinnennetz zu zerstören, und ging schnell weiter zum Frühstück.
Beim Auschecken an der Rezeption wühlte Helga in den zahlreichen tiefen Taschen ihres indigoblau leuchtenden Gewandes, das aussah wie aus einem Tuareg-Schal geschneidert. Sie konnte ihre Brieftasche nicht finden.
»Guck noch mal in Ruhe nach«, sagte Georg mit einem Blick auf ihre prall gefüllte, oben auseinanderklaffende Reisetasche und das Beautycase. Immerhin, dachte Eva, den Rest hat sie für die zwei Tage im Auto gelassen.
»Vielleicht liegt dein Portemonnaie noch unter dem Bett in deinem Zimmer«, schlug Emil vor. Eva blickte neidisch auf Helga. Bei ihr war Emil immer so besorgt. Doch die schüttelte nur den Kopf. Vielleicht liegt es auch bei einem der Kellner? Eva verbot sich diesen gehässigen Gedanken sofort.
»Lasst mich nachdenken, wo ich es zuletzt hatte. Ich spüre, gleich wird es mir einfallen!« Mit diesen Worten wanderte Helga auf ihren bloßen, perfekt pedikürten Füßen langsam nach draußen.
Nachdem Georg Helgas Zimmer bezahlt hatte, half ihnen die dunkel gelockte Besitzerin, Signora D’Annunzio, mit dem Gepäck. Gemeinsam schleppten sie es hinaus auf den gekiesten Vorplatz, wo Georg das Auto zwischen Rosenstöcken und Oleander geparkt hatte. »Wohin werden Sie
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