Orangenmond
der Jugendherberge in einem Achter-Schlafsaal. Eva suchte weiter.
»Hier gibt es eins in der Innenstadt, mit Pool und kostenlosem Parkplatz und genau den Zimmern, die wir brauchen. Das sind die letzten.«
»Wir sind ja nun auch recht spontan unterwegs, Kinder!«, meldete sich Helga mit erholter Stimme von ihrem Schläfchen zurück. »Gestern Morgen überlegtet ihr, noch einige Nächte im Palazzo zu bleiben, dann wiederum hieß es, ihr fahrt doch gleich nach Apulien und würdet mich in Forlì in den Zug setzen; jetzt sind wir mitten im Land, ja schon fast in Rom! Da kann ich ebenso gut noch eine Nacht bei euch bleiben. Nicht wahr?«
»Darüber haben wir noch gar nicht richtig nachgedacht, Mutter!«
»Soll ich das nun buchen? Es ist natürlich ein bisschen teurer! Hundertfünfzig Euro im Doppel? Hundertzwanzig das Einzelzimmer?«, fragte Eva.
»Ja, na gut«, sagte Georg. »Geld ist mir gerade scheißegal.«
»Wie groß ist der Pool? Darf ich mal sehen?«, fragte Emil höflich. Eva zeigte ihm das wunderschön ausgeleuchtete türkisblaue Becken, das in einem alten Gewölbe zwischen mehreren gemauerten Bögen eingelassen war.
»Bleiben wir eine Nacht?«
»Zwei!«
»Ich zahle diesmal«, krähte Helga gegen die Windschutzscheibe. »Italien ist ein ehrliches Land, und meine Geldtransaktion müsste auch funktioniert haben!«
»Hotel Bruffoni Palace«, las Emil, »komisch, wir wohnen immer in Palästen.«
»Ganz mein Ding«, sagte Helga.
»Booah! Das Hotel ist superalt!«, rief Emil aus, als sie die weite Halle betraten. Ein großer Teppich mit eingewebtem Wappen breitete sich vor ihnen aus, rosa Barocksesselchen standen um kurzbeinige Tischchen, Kandelaber hingen herab, um die hohen Fensterbögen waren auf komplizierte Weise schwere Vorhangstoffe drapiert.
Allein Helga schaute nicht staunend umher, sie wusste, wie eine Dame von Welt ein Fünf-Sterne-Hotel betritt.
Kaum lag Eva auf dem rot-gold überzogenen Bett, als das elfenbeinfarbene Telefon klingelte. »Hallo! Wir sind in 3 14!«, sagte Emil ernst.
»Ist euer Zimmer auch so toll wie meins?« Eva ließ ihren Blick über die sattgelben Stofftapeten, die roten Brokatvorhänge und den zierlichen Barockschreibtisch schweifen.
»Ja.« Er legte auf.
Hier bin ich also nach achtzehn Jahren wieder in Perugia, dachte Eva. Diesmal allerdings in einem Luxushotel. Mit meinen Erinnerungen hat das nichts zu tun, absolut nichts! Sie fühlte sich erleichtert und irgendwie doch betrogen.
Eine halbe Minute später klopfte es. Sie stand auf, um die Tür zu öffnen. In der Jugendherberge wäre es vielleicht ruhiger gewesen.
»Papa sagt, wir haben kein Zimmer, wir haben eine Suite!«
Emil ging auf das Telefon zu und hob den Hörer ab. Der arme Junge langweilt sich so, dass er sogar mit seiner Tante kommuniziert, dachte Eva und streckte sich wieder auf dem Bett aus.
»Du hast ein Königinnenbett. Da passt nur eine Königin rein, dick in die Mitte!«
»Danke!« Für das dick in die Mitte.
»Kann ich mir mal was bestellen?«
»Was denn?«
»Ach, irgendwas, das macht so Spaß!«
»Das darfst du heute Abend bestimmt. Hast du dir schon das Schwimmbad angeschaut?«
»Ja. Mit Papa.« Er legte den Hörer wieder auf. »Das ist im Keller, aber da muss man leise sein, weil die Leute in weißen Bademänteln herumliegen und Wellen-Ness machen wollen, das geht nur, wenn keiner rumspringt und Wellen macht, deswegen heißt das so, glaube ich.«
»Aha.« Eva hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verknei fen. »Und? Bist du sonst schon ein bisschen herumge laufen?«
» Papa sagt, ich soll das nicht alleine.«
»Warum denn nicht?« Aber Eva bereute ihre Frage so fort. Georg war einfach überängstlich, er gab es ja offen zu. Auf Schritt und Tritt witterte er Gefahren für Emil. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass ein böser Mensch ihn auf einem der Flure ins Zimmer zog, missbrauchte, entführte oder sogar tötete. Er konnte an jedem heraushängenden Stromkabel einen Schlag bekommen, in der Drehtür zu Tode gequetscht werden, sich an jedweder Stelle im Hotel Arme, Beine oder gleich das Genick brechen. Doch warum sollte das geschehen?
Eva wusste nur, dass es Milena und ihr als Kinder gefallen hätte, über die dicken roten Teppichböden der verschiedenen Stockwerke zu rasen, mit dem goldenen Spiegellift hoch- und runterzufahren, die Dachterrasse zu erkunden und in den kleinen Barocksesseln unten in der Halle zu hocken und »feine Dame« zu spielen. Emil war alleine. Kein Bruder zum
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