Orangentage
da ⦠Guck mal!«
Der Monitorhintergrund wurde erst dunkel, nachher wässrig blass, schlieÃlich erschienen darauf konzentrische Kreise, die nach auÃen wanderten. In der Mitte tauchte ein Mädchenkopf auf. Man konnte kein Gesicht sehen, nur den Nacken und das Haar â halb schwarz, halb blond. Am linken Ohr hing eine kleine Spirale mit einem Kristalltropfen. Darek blickte hinüber zu Hanka.
»Bist du das?«, fragte er.
»Woran hast du mich erkannt?«
Er zeigte auf den Ohring.
»Du würdest jede Menge Mädchen finden, die solche Ohrringe tragen. Man kann diesen Schmuck in jeder Drogerie für ein paar Heller kaufen«, sagte sie und gab mit ihrem Zeigefinger dem echten, nicht digitalen Kristalltropfen einen Schubs, der ihn schaukeln lieÃ.
»Wer hat dich fotografiert?«
»Ich. Mit dem Selbstauslöser, vom Stativ. Grafisch habe ich es auch selber bearbeitet.«
»Warum schwarz-wei�«
»Du hast einen brauchbaren IQ, vielleicht kommst du dahinter«, antwortete sie und klickte auf die schwarze Hälfte des Kopfes. Düstere Fotos blitzten über den Bildschirm. Darek erkannte den Bahnhof in Ostrawa und davor ein älteres Obdachlosenpaar mit Zahnruinen im Mund. Er erkannte die von der Ãberschwemmung fortgespülte Brücke in Piosek, einen ertrunkenen Hund im Schlamm, es präsentierten sich Gruben, Halden, Bergwerktürme, Schrottplätze, meterhohe, sich türmende Abfallberge und Gesichter, die in ihren Augen und Falten Hoffnungslosigkeit trugen. Manche Fotos wurden mit Sprechblasen versehen. Das Ganze musste Hanka unglaublich viel Zeit gekostet haben.
»Hast du alles alleine gemacht?«
Hanka nickte. »Was sagst du dazu?«
»Ziemlich depressiv.«
»Es gibt Tage, an denen ich die Welt so sehe und ich kann dagegen nichts machen. An anderen Tagen wiederum badet in allen Seelen die Sonne.«
Sie klickte auf die helle Hälfte des Kopfes und vor Darek öffneten sich ganz andere Bilder â voller Licht.
»Schwarz und weiÃ, weià und schwarz, das wechselt dauernd«, sagte Hanka. »Nie hält eine Farbe sehr lange. Genauso wie eine Stimmung. Hast du es auch schon bemerkt?«
Darek schüttelte den Kopf. Er war verwirrt und wusste nicht, was er sagen sollte. Keinen der üblichen Sprüche wie klasse, super, geil, krass oder gigantisch fand er passend. Hankas Fotosammlung war einzigartig und authentisch, er fühlte sich geschmeichelt, dass sie sie ihm vorführte. Ihm würde so was Originelles nie einfallen. Neben ihr kam er sich völlig unkreativ vor. Zum Glück hatte er sich nicht überreden lassen und sein beschränktes Harmonikarepertoire vorgespielt. Er hätte sich absolut lächerlich gemacht. Egal, wie er es drehte, es gab nichts, womit er sie beeindrucken konnte. Zu alledem war er noch ein Jahr jünger. Jetzt gratulierte er sich, vorhin in der Werkstatt nicht den Versuch unternommen zu haben, sie zu küssen. Damit hätte er sich endlos blamiert. Er fasste den Entschluss, sich gleich am Abend bei Facebook zu registrieren und ein interessantes Profil zu erstellen. Vorausgesetzt, ihm fiel etwas Interessantes ein â¦
»Tolle Bilder, sehr eigen ⦠ich meine, sehr persönlich. Ich mag sie«, sagte er schlieÃlich und senkte den Kopf. Er tat, als ob er den Spielestapel ordnen wollte, in Wirklichkeit aber spürte er, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. »Wie oft aktualisierst du die Seite?«
»Als ich sie gegründet habe, habe ich mir gesagt, dass es eine Art Tagebuch sein würde, das ich immer ergänze, wenn ich mich irgendwie verändert habe.«
»Wie oft veränderst du dich denn?«
Hanka sah Darek verwundert an.
»Dauernd«, sagte sie.
***
Die Wohnzimmertür, an der sie ein Dreivierteljahr vorbeigegangen waren, als ob sie nicht existierte, stand den ganzen Tag sperrangelweit offen. Nach dem Abendessen setzte sich Vater mit Heft und Taschenrechner dort hin, schrieb etwas und rechnete konzentriert. Ema und Darek setzten sich zu ihm.
»Ich bin sicher, man kann nichts dabei verlieren!« Vaters Ton nach zu urteilen, musste er vor allem sich selbst überzeugen. »Wenn ich jetzt vierzig Riesen investiere, kriege ich sie bis Herbst viermal zurück.«
Darek blickte von den Hausaufgaben auf.
»Wo willst du denn vierzigtausend Kronen hernehmen?«
»Mutter und ich haben einiges gespart, eine Art
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