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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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benommen auf. Sie trank ein Glas Wasser, ließ sich die brennenden Augen auswaschen. Schnell vergaß sie dann wieder alles und in ihr Gesicht kehrte das Lächeln zurück.
    Â»Was ist? Warum heulst du?«, wiederholte Darek mit beherrschter Stimme seine Frage. Er fügte sogar eine Prise Verdrossenheit hinzu, um zu zeigen, dass er selbst keinen Grund zur Verzweiflung sah. »Ist es wegen der Zeichnung?«
    Ema nickte. Zwei Tränen fielen auf das Heft und bildeten auf dem Papier eine dunkle, liegende Acht. Die Schlinge der Unendlichkeit …
    Â»Weißt du was? Hör auf zu plärren, ich habe eine Idee«, sagte er. »Reiß das Blatt raus!« Er wusste, dass, wenn er es selber machte, Ema nur noch mehr weinen würde, so aber fand sie es bestimmt ganz amüsant.
    Â»Ganz?«, nuschelte sie. »Ganz herausreißen?«
    Â»Klar, mach schon! Schwupps!«, befahl er. Seine Entschlossenheit ermutigte Ema. Sie nahm das Blatt mit der misslungenen Zeichnung und riss es aus dem Heft heraus. Darek zerknüllte es und steckte es in die Hosentasche.
    Â»Perfekt! Jetzt merkt die Lehrerin nicht, dass du etwas vermasselt hast«, sagte er. »Die Hexe war sowieso beschissen. Kannst du nicht was anderes zeichnen?«
    Â»Was denn?«
    Â»Was denn, was denn! Lass dir was einfallen!«
    Â»Die verzauberte Prinzessin?«
    Â»Klingt schon besser.«
    Ema sah Darek ratlos an. Dann schoss ein neuer Schwall Tränen aus ihren Augen.
    Â»Aber ich hab sie nicht gesehen! Ich weiß niiiicht …«, lamentierte sie, »… wie ihr Fuuuuß aussieht!«
    Darek prustete laut los. »Ihr Fuß? Ich dachte, Prinzessinnen haben zwei Füße. Diese hat nur einen? So wie Herr Havlik?«
    Â»Sie hat zwei Füße«, antwortete Ema nach kurzer Überlegung. »Aber nur einen Schuh. Einen roten. Der andere ist … ist im Laden geblieben … als die Hexe sie verzaubert hat. Und der Mann der Prinzessin war Schuster …«
    Ema weinte nicht mehr. Sie presste ihre Faust gegen die Stirn und versuchte, sich an Einzelheiten der Geschichte zu erinnern. Darek dämmerte inzwischen, dass er das Märchen kannte. Vor zwei Jahren hatte Mutter es genau in diesem Zimmer von Anfang bis Ende vorgelesen und Ema hatte gespannt zugehört. Sie hatte es inzwischen nur vergessen. Zwei Jahre bedeuteten eine ganze Ewigkeit für sie.
    Â»Was ist dann passiert?«, fragte er.
    Â»Die Prinzessin musste der Hexe dienen.«
    Â»Und wie ging’s aus?«
    Â»Das weiß ich nicht.«
    Â»Denk dir was aus!«
    Â»Aber was?«
    Darek schob seinen Stuhl zurück. Es überstieg seine Kräfte, ruhig sitzen zu bleiben und zu warten, bis in Emas Gehirnzellen etwas in Gang kam. Jedes Mal wenn er sah, wie angestrengt sie nach den einfachsten Lösungen suchen musste, kribbelte es ihn im ganzen Körper vor Ungeduld. Am liebsten hätte er Ema an der Schulter gepackt und die Antwort aus ihr herausgeschüttelt, doch das hatte ihm Mutter strengstens verboten.
    Â»Glaubst du, dass die Hexe die Prinzessin getötet hat?«, fragte er, überging den Schreck in Emas Gesicht und fuhr erbarmungslos fort: »Du hast doch gesagt, sie war böse. Da hat sie sie wahrscheinlich umgebracht.«
    Â»Hat sie nicht!«
    Â»Wieso nicht?«
    Â»Weil sie … Sie wurde vom Schuster gerettet.« Ema hatte die Lösung gefunden.
    Â»Bingo! Und was war weiter?«
    Â»Dann … sind sie zusammen nach Hause gegangen.«
    Â»Und die Hexe wurde kaltgemacht! Sie haben sie abgemurkst, oder?«
    Darek erwartete, dass sie nicken würde. Aber Ema schüttelte kategorisch den Kopf.
    Â»Warum nicht?«, hakte er nach. »Sie war doch böse!«
    Â»Aber die beiden doch nicht«, erklärte Ema.
    Â»Ach so.« Er schämte sich wegen seiner Blutrünstigkeit. »Dann zeichne es einfach.«
    Â»Was?«
    Â»Ema!«
    Ein Schmerz bohrte sich in seinen Kopf. Er presste die Zähne zusammen und atmete ganz langsam aus. Der Druck ließ nach.
    Â»Zeichne doch mal die Prinzessin und den Schuster«, sagte er möglichst sanft. »Wie sie heimgehen.«
    Â»Ich weiß doch nicht, wo sie wohnen!« Sie war schon wieder unglücklich. Darek griff nach dem Bleistift und zeichnete ein Viereck in Emas Heft.
    Â»Da wohnen sie. Das ist ihr Haus.«
    Ema lachte. »Das ist kein Haus! Es hat kein Dach.«
    Â»Mach es doch selber!« Er ließ den Stift fallen.

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