Orangentage
Wagen, um Fahrtkosten zu sparen. Sie waren gut gelaunt gewesen, Vater hatte vor sich hin gepfiffen. Nach langer Zeit sah es hoffnungsvoll aus: Die Betriebsleitung hatte alle zu einer Versammlung in der Maschinenhalle zusammengerufen und unter den Angestellten hatte sich herumgesprochen, dass ein groÃer Auftrag in Sicht sei, der wieder Arbeit bringen würde. Bevor sie losfuhren, hatte Vater sich noch aus dem Wagen gelehnt und gerufen: »Wir machen ein Fest! Ich bringe eine Torte mit!« Und Ema hatte ihm vom Küchenfenster aus zugewunken.
Jetzt waren die Fenster zu, das Haus und der Hof still. Als Darek näher kam, sah er, dass das Auto im Unterstand hinter der Scheune stand.
»Vater ist schon zurück«, sagte er leise. »Warte hier, ich krieche unauffällig hinein und ziehe mich schnell um, damit er nichts merkt. Willst du ein Stück Torte?«
»Was soll die blöde Frage? Bring ruhig einen dicken Batzen mit«, forderte Mischa ihn auf. »Ich leide seit gestern unter Zuckermangel. Mutter hat Tagesrationen eingeführt. Du wirst nicht glauben, was sie zu mir gesagt hat. Der Reifen müsse weg. Der Reifen! Ich bin doch kein Fettie, oder?«
»Ich finde dich genau richtig. Du würdest komisch aussehen, wenn du dünner wärst«, antwortete Darek und ging Richtung Hauseingang. Doch noch bevor er im Flur verschwinden konnte, öffnete sich die Küchentür und eine veilchenfarbene Bluse und Marta kamen heraus. Sie musste Darek durch das Fenster erblickt haben. Wie gewöhnlich empfand er ein stechendes Zucken im Magen, das ihre Anwesenheit immer bei ihm hervorrief. Sie kam nicht jeden Tag, und nachdem sie gekocht hatte, verschwand sie schnell wieder, weil sie im Postamt zu tun hatte, aber jedes Mal hinterlieà sie etwas Beunruhigendes in der Luft, eine leichte, kaum wahrnehmbare Brise, die durch die Küche wehte und unbemerkbar Mutters Spuren wegwischte. Darek fürchtete, dass sie eines Tages ganz verfliegen würden. Er wusste aber nicht, wie er sich dagegen wehren konnte.
»Na, wie habt ihr gespielt? Habt ihr gewonnen?«, fragte sie und lehnte sich an den Türrahmen. Ihre lässige Körperhaltung erzürnte Darek. Sie benahm sich wie zu Hause. Er kniff seine Lippen zusammen und wollte schweigend an ihr vorbeischleichen, doch sie packte ihn am Ellenbogen.
»Autsch!«, schrie er auf.
»Zeig mal, wurdest du gefault?«
Sie war es ihm nicht wert, groÃartige Lügen aufzutischen. Im Gegenteil, er genoss es, sich ihr in möglichst schlechtem Licht zu zeigen.
»Ich habe mich mit Hugo ScheiÃschlappschwanz geprügelt.«
Er erwartete Vorwürfe, Empörung, wütende Worte, doch Martas Blick wanderte nur missmutig von seinem blutigen Ohr bis hinunter zu den schlammbeschmierten FüÃen.
»Mach dich frisch«, sagte sie leise, »damit dein Vater dich nicht so sieht.«
»Ist mir schnuppe, wie er mich sieht«, entgegnete er. Auch wenn er nicht in Mischas Richtung schaute, war ihm klar, dass er ihn beobachtete und jedes Wort hörte. Darek wollte nicht eingeschüchtert vor ihm dastehen. »Es ist meine Privatsache, auf welche Weise ich die Rechnungen begleiche! Mich kümmern Vaters Angelegenheiten doch auch nicht!«
»Sollten sie aber vielleicht.«
Martas Ratschläge gingen ihm noch mehr auf die Nerven als ihr Essen und ihre beflissene Fürsorge. Er sprach ihr jegliches Recht ab, sich in sein Leben einzumischen. Falls Vater dachte, dass Marta für ihn und Ema unverzichtbar war, hatte es keinen Sinn, mit ihm darüber zu streiten, aber Darek konnte wunderbar ohne ihre SoÃen, geputzten Fenster, gebügelten Hemden und pädagogischen Sprüche leben.
»Danke für den Tipp«, entgegnete er ironisch. »Wozu wäre das gut?«
»Wenn dich dein Vater ein bisschen interessieren würde, könntest du zum Beispiel fragen, warum er schon so früh zurück ist.«
»Da würde ich bestimmt etwas Umwerfendes erfahren«, erwiderte er höhnisch. »Lass mich raten: Es gab keinen Stau auf dem Opawa-Ring! Richtig?«
Marta schenkte seinem Gespött keine Aufmerksamkeit.
»Du würdest erfahren«, sagte sie in bewusst ruhigem Ton, hinter dem Darek jedoch Anspannung vernahm, »dass seine Firma Insolvenz angemeldet hat. WeiÃt du, was das bedeutet?«
Darek hob die Achseln.
»Das bedeutet Massenentlassungen. Kein Zwangsurlaub, keine Kurzarbeit und kein reduzierter
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