Orangentage
ist.«
Macht er Witze? Ich schiele ihn an, aber sein Gesicht ist ernst.
»Und was, wenn ich ertrinke?«
Er hat schon den Beckenrand erreicht, steigt aus dem Wasser. Jetzt erst merke ich, dass die kleine Tasche mit Dokumenten, Geld und weiteren wichtigen Sachen um seine Hüfte befestigt ist. Er muss meinetwegen so eilig ins Becken gesprungen sein, dass ihm keine Zeit blieb, sie abzulegen.
»Wenn du ertrinkst, tja, dann hast du halt Pech«, sagt er lässig und knufft mich in die Backe. »Dann kannst du wohl nicht mehr rutschen.«
***
Herkules machte einen Abstecher zum Waldrand. Er raste unter tief hängenden Fichtenästen durch, sodass Darek sich auf seinen Hals legen musste, dann trabte er, ohne angespornt werden zu müssen, quer über die Wiese zurück und bog in sicherer Entfernung vom elektrischen Zaun ab. Noch nie war er bis an den Zaun gelaufen â vermutlich hatte er früher mal eine schmerzhafte Erfahrung mit elektrischem Strom gemacht. Anton hatte Darek erzählt, dass der ursprüngliche Besitzer das Pferd im Gelände gut geritten habe, aber dann sei er gestorben und der Hengst habe mehrmals den Besitzer wechseln müssen. Herkules musste Kutschen mit Touristen ziehen, Stämme und Klötze aus dem Wald schleppen und wurde vor den Pflug gespannt. Anton hatte ihn in Skaryszew auf dem Markt als Einspannpferd gekauft, doch er erkannte gleich, dass mehr in ihm steckte. »Er ist dreizehn, und abgesehen davon, dass er wie ein Knochengerüst aussieht, calkowicie , ist er in Ordnung. Schau dir mal die Mähne an!«
Anfangs teilte Darek seine Begeisterung nicht. Herkulesâ Mähne kam ihm wie ein fusseliger Schal aus dem Secondhandladen vor. Nicht einmal die Farbe konnte man bestimmen. Erst nach gründlichem Waschen und tagtäglichem Kämmen stellte sich heraus, dass sie silbergrau, seidig und üppig war. Das Fell hatte einen etwas helleren Ton, und Darek stellte fest, dass die einzelnen Haare nicht grau, sondern weià und schwarz gemischt waren. Herkules war ein ruhiges Pferd. Er hatte schon so viel erlebt, dass er sich vor nichts mehr fürchtete. In der Herde war er praktisch vom ersten Tag an als Führungshengst anerkannt, ohne sich den Status erkämpfen zu müssen. Sogar Krokant, der gröÃer und jünger war, ging ihm von alleine aus dem Weg.
»Ho!«, rief Darek, sobald sie unter dem Hang angelangt waren, und parierte den Hengst zum Schritt durch. Schon vorher, als Mischa im Sattel gesessen und Darek die beiden beobachtet hatte, konnte er sehen, wie Herkules den Anweisungen willig folgte. Von allen neun Pferden war er am meisten am Reiten interessiert. Herr Havlik, der jeden Tag zur Weide humpelte, um vom Zaun aus stundenlang die Pferde zu beobachten, meinte, dass Herkules einen Charakter mit groÃem C hatte. »Welche Dressur ein Pferd genossen hat, was es draufhat, wie es mit seiner Gesundheit steht, das zeigt sich meistens erst nach gewisser Zeit«, behauptete er. »Aber den Charakter eines Pferdes sowie eines Menschen erkenne ich auf den ersten Blick.«
Herr Havlik hätte sogar ohne Weiteres Ema auf Herkules reiten lassen, aber sie hatte ihre Waliserin und mochte offensichtlich kein anderes Pferd. Auch jetzt saà sie auf ihrem breiten weiÃen Rücken, lächelte beglückt, die Hände in die Mähne der Stute gekrallt. Mischa longierte sie vor dem Schuppen. Als er sah, dass sich Darek auf Herkules näherte, hob er den Daumen.
»Klasse! Mal abgesehen davon, dass er mit dir ein Stück durch den Wald gefegt ist, bist du der King!«, schrie er ihm zu. Es hatte sich bei ihnen inzwischen eingespielt, nach jedem Ausritt eine Bewertung abzugeben, meistens in einem witzig-ironischen Ton.
Ema schwieg, wandte nicht einmal den Kopf. Sie schien Darek gar nicht wahrzunehmen. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf Waliserin und die schaukelnde Bewegung gerichtet. Darek erinnerte es an ihre Trancezustände und ihre Murmelgedichte, mit dem Unterschied, dass sie auf dem Pferderücken nicht vor sich hin flüsterte, sondern nur veträumt lächelte.
Unweit vom Schuppen lehnte Herr Havlik an der Koppelumzäunung. Er begrüÃte Darek gleich mit einer kritischen Anmerkung.
»Richte dich auf, du buckliger Fiedler!«, rief er. »Ist etwas mit dem Sattel?«
»Nein, der passt gut.«
»Er rutscht nach hinten, oder? Vielleicht sollten wir es mit einem Vorderzeug versuchen. AuÃerdem
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