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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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Lohn mehr, sondern endgültiger Rausschmiss. Dein Vater ist mit zweihundertsiebzig anderen Menschen ohne Arbeit. Denk mal darüber nach, wie es ihm wohl gerade geht!«
    Darek spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Nach dem morgendlichen Optimismus, nach der triumphalen Abfahrt in die Fabrik und der versprochenen Feier mit Torte war es eine unerwartet kalte Dusche. Er stand regungslos da und starrte Marta an. Eine Weile erwiderte sie seinen Blick, dann drehte sie sich um und ging wieder zurück in die Küche.
    Â»Ich fürchte, deine Prügelei wird seine Laune nicht verbessern!«, rief sie ihm noch über die Schulter zu, bevor ihre veilchenfarbene Bluse hinter der Tür verschwand.
    ***
    Der letzte Schritt. Ich halte mich am Geländer fest und setze mich auf die Rutsche. Die lange Bahn windet sich nach unten, ich starre sie an und habe Angst. Gleichzeitig freue ich mich. Beide Gefühle hängen zusammen, ich weiß nicht, welches überwiegt. Ich bin sieben, kann gerade erst schwimmen. Vater hat mir die große Rutsche strengstens verboten. Zum Beweis, dass er es ernst meinte, hob er sogar den Zeigefinger: Verstanden ? Verstehen und wollen, das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Die Versuchung ist für mich zu groß, ich kann nicht widerstehen.
    Â»Was denn nun? Rutschst du, oder glotzt du nur herum?«, höre ich eine ungeduldige Stimme hinter meinem Rücken. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, stoße mich ab … rutsche! Das fließende Wasser treibt mich immer schneller, die Welt rast steil an mir vorbei und ich rutsche durch die scharfen Kurven in die Tiefe. Mein Herz schlägt vor Erregung bis zum Hals. So etwas habe ich noch nie erlebt. Es wäre toll, wenn es ewig dauern könnte, wenn dieses Gefühl nie nachlassen würde! Doch die Rutsche hat, wie alles, ein Ende. Meine Freude verwandelt sich allmählich in Panik. Unter der Mündung der Rutsche ist das Wasser bestimmt sehr tief. Was, wenn ich nicht wieder auftauche? Was, wenn ich auf jemanden drauffalle? Was, wenn jemand auf mich drauffällt? Was … was … was…
    Â»Vorsicht!«, kreische ich. Meine Stimme ist dünn, sie verklingt restlos im Getöse des Aquaparks. Erschrocken sucht mein Blick Vater und Mutter mit Ema im Planschbecken, aber das Gelände ist groß und unüberschaubar. Ich kann keine Gesichter ausmachen – das Chlorwasser beißt in den Augen, alles fließt ineinander. Nur mühsam erkenne ich das sich rasant nähernde Ende der Rutsche. Ich werde nach oben katapultiert und fliege mehrere Meter durch die Luft, drehe mich wie ein Propeller und dann platsche ich ins Becken. Ich sinke zum Grund. Vorher, auf der Rutsche, hatte ich vergessen, tief einzuatmen, jetzt geht mir die Luft aus. Verschwommen sehe ich Körper, Arme und Beine überall. Sie bilden ein Hindernis zwischen mir und der Welt dort oben, der Welt, in der man atmen kann. Es scheint mir, dass ich nie durchkomme, und das erfüllt mich mit Panik. Ich ertrinke! Hysterisch fuchtele ich mit den Armen, trete Wasser, und mit Verzweiflung sehe ich Luftbläschen an meinem Gesicht aufsteigen. Plötzlich packt mich ein starker Arm und zieht mich nach oben. Im Nu ist mein Mund oberhalb der Wasseroberfläche. Ich atme gierig ein und drehe den Kopf zu meinem Retter.
    Â»Papa!«, stoße ich überrascht aus. »Wie hast du mich gefunden?«
    Â»Ich habe dich nicht aus den Augen gelassen.«
    Â»Echt? Die ganze Zeit? Hast du gesehen, dass ich auf die Rutsche gegangen bin?«
    Vater nickt. Seine borstigen Haare kleben ihm am Kopf, sie sehen wie eine rote Kappe aus.
    Â»Wieso hast du mich hochgelassen?«, staune ich.
    Â»Was blieb mir anderes übrig? Es war deine Entscheidung.«
    Wir schwimmen gemeinsam zum Rand des Beckens, Vater schweigt, seine kräftigen Arme schneiden ruderartig durchs Wasser. Ich fühle mich klein, schwach und schuldig.
    Â»Ich mach das nie wieder, Papa«, nuschele ich leise.
    Â»Warum nicht?«
    Â»Du hast es mir doch verboten.«
    Â»Und du hast auf mein Verbot gepfiffen.«
    Â»Ich wollte es einmal ausprobieren«, erkläre ich. »Nur ein Mal.«
    Â»Und – hat es dir gefallen?«
    Â»Ich hatte Angst, aber … es war toll.«
    Â»Da du es nun schon ausprobiert hast und es toll findest, wirst du es trotz Verbot immer wieder versuchen. Also, von mir aus rutsch, bis deine Badehose durchgewetzt

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