Orangentage
reichten. Nur die Mutter hatte es gewusst.
»Komm, lass uns zu mir gehen«, schlug Mischa vor. »Die dreckigen Klamotten tun wir in die Waschmaschine und du ziehst Shorts und ein T-Shirt mit langen Ãrmeln von mir an, um den Ellbogen darunter zu verstecken. Hanka ist zu Hause, sie wird dein Ohr verarzten.«
Wenn er den letzten Satz nicht gesagt hätte, hätte Darek das Angebot angenommen. Mischa hatte ja recht. Mit ein bisschen Glück würde Vater nichts merken, und in ein paar Tagen, falls er nach den neuen Sportschuhen fragen sollte, würde Darek den Verlust durch eigene Nachlässigkeit erklären. Man würde den Schaden nicht in den Zusammenhang einer Schlägerei stellen. Aber die Vorstellung, dass Hanka ihn in diesem entwürdigenden Zustand sah, war für Darek unerträglich. Er schüttelte den Kopf.
»Keine Panik, es ist nicht so schlimm«, versicherte er Mischa. »Der Atommüll wird sich dadurch nicht vermehren.«
Der Spruch war von Herrn Havlik, der ihn immer dann verwendete, wenn er Schmerzen im amputierten Bein hatte. Er grinste dabei verächtlich. Darek hatte sich die Redewendung und das Grinsen zu eigen gemacht â er kam sich cool dabei vor, wie ein echter Kerl.
»Soll ich mit zu den Pferden kommen?«, fragte Mischa.
»Wenn du Zeit hast.«
Darek hatte keine Ahnung, wie er ohne Mischas Hilfe zurechtkommen sollte. Sie nannten es zu den Pferden gehen , aber in Wirklichkeit war damit Arbeit gemeint. Das tägliche Striegeln, Wasser nachfüllen, Pferdekot aufsammeln, das gemähte Gras wenden und zusammenrechen beanspruchte eine Menge Zeit. Zum Reiten kamen sie selten. Das war auch der Grund, warum das Interesse der Kinder aus der Nachbarschaft, die anfangs ganz Feuer und Flamme gewesen waren, nach einiger Zeit merklich abkühlte. Sie begriffen schnell, dass es auf der Wiese mehr Maloche als Vergnügen gab. AuÃerdem waren Lyskos Pferde keine Prachtstücke. Es war eine Ansammlung von neun müden Exemplaren, eines merkwürdiger als das andere. Darek hatte das gleich bemerkt, als sie gebracht worden waren. Es handelte sich um ältere, schlecht ernährte Tiere in einem jämmerlichen Zustand. Hast du etwa prämierte Champions erwartet, du Spinner?, hatte er sich voller Spott gefragt, aber im ersten Moment kamen ihm sogar die Tränen, so enttäuscht war er. Vor dem Vater und vor Ema lieà er sich aber nichts anmerken. Hugo jedoch sagte seine Meinung laut und vernehmlich: »Pfui, sind das hässliche Klepper!« Das hörte eine Gruppe von Mitschülern, die auf den Hof geschlendert gekommen waren, um eine Inspektion der Neuankömmlinge durchzuführen. »Ich würde keines der Gerippe geschenkt bekommen wollen!«
Doch der erste Eindruck täuschte. Es gab beträchtliche Unterschiede von Tier zu Tier. Ausgemergelt waren sie alle, manche hatten scharf hervorstehende Augenbrauenbögen und unter dem Fell zeichneten sich deutlich ihre Rippen ab, und dennoch bewegte sich jedes einzelne von ihnen anders. Darek erkannte bald, dass die Stute, von Anton »Waliserin« genannt, kein gewöhnliches Pferd war. Sie hatte einen schwungvollen Gang, lange, gut gelagerte Schultern und schwang schön locker im Rücken. Der muskulöse Hals trug einen Hechtkopf mit groÃen, sanften Augen. Ihr auffälligstes Merkmal aber war die Farbe. Als fasttotalweià bezeichnete Ema sie begeistert. Ganz weià war nur die vordere Hälfte der Stute. Auf der Kruppe, dem Rumpf und den Hinterbeinen konnte man bei näherem Hinsehen bräunliche Flecken entdecken. Doch die hinderten Ema nicht daran, sich sofort in Waliserin zu verlieben. Sie flocht Zöpfe in ihre Mähne, brachte ihr Essensreste vom Tisch und knutschte sie auf die Nase.
Dareks Aufmerksamkeit wurde dagegen von einem dunkelbraunen Hengst angezogen. Als er aus dem Anhänger gestiegen war, sah sein Fell abstoÃend dreckig aus, die Mähne war voller Knoten und verfilzt, aber sein edler, gerader Kopf auf seinem schönen Hals war nicht zu übersehen. Er bevorzugte es, abseits von den anderen zu stehen, und pflegte das rechte Vorderbein immer ein wenig anzuheben, als wollte er es schonen.
»Er heiÃt Krokant«, sagte Anton und klopfte dem Hengst sanft den Hals. »Eine groÃpolnische Rasse mit arabischem und englischem Blut in den Adern. Seine Brüder sind ausgezeichnete Rennpferde. Krokant kann leider nicht mehr an Wettrennen
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