Orangentage
Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht hatte sie dem Mond zugewandt, als würde sie sich sonnen.
»Na, schau mal an!«, begrüÃte sie Darek.
»Was denn?«, antwortete er.
»Ich dachte, du kommst nicht«, gab sie zu. »Es ist ein bisschen spät für eine Verabredung, oder?«
»Ich gehe nie vor Mitternacht ins Bett«, sagte er und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie er sich über das Wort Verabredung gefreut hatte. »Ich bin eine absolute Eule.«
»Im Gegensatz zu Mischa«, bemerkte sie. »Immer wenn ihn Mutter vom Computer wegscheucht, verkündet er, dass er lesen geht, und fünf Minuten später finde ich ihn bewusstlos, mit den Simpsons auf dem Gesicht, daliegen. Ich würde sagen, mein Bruder ist eine Lerche, gekreuzt mit einem Huhn!«
»Er muss Energie tanken«, nahm Darek Mischa in Schutz. »WeiÃt du, wie er sich bei den Pferden verausgabt? Und jetzt habt ihr ihm sogar die Zuckerrationen gekürzt. Das finde ich echt unfair.«
Darek setzte sich neben Hanka. Dabei versuchte er die Entfernung zwischen ihr und sich so abzuschätzen, dass sie sich berührten. Es gelang ihm nicht, es blieb eine Lücke und das verstimmte ihn. Er könnte natürlich so tun, als ob er nicht gemütlich säÃe, und näher rücken, aber er hatte Angst, dass Hanka sein Manöver durchschauen könnte. Sie war nicht auf den Kopf gefallen.
»Ich habe niemandem etwas gekürzt«, erwiderte sie. »Mutter liest immer irgendeine Weisheit in Gesünder leben und sofort passt sie den Speiseplan an. Momentan hat sie es auf Zucker abgesehen, nächsten Monat werden wir kein Fett haben oder nicht salzen. Zum Glück haben wir Vater.«
»Richtet er sich nicht nach dem Speiseplan?«
»Er isst brav alles auf, was Mama ihm auftischt, aber dann hat er meistens dringende Arbeiten in der Garage zu erledigen. Er muss das Auto polieren oder Bremsflüssigkeit nachfüllen. Mischa assistiert ihm bereitwillig. Dort haben sie ihren geheimen Zuckerbunker. Wenn sie dann wieder herauskommen, sehen sie schwer zufrieden aus.«
Darek lachte. Er hörte, wie unnatürlich es klang. Nervös und krampfhaft. Er konnte das Zittern in den Beinen nicht abstellen, auch wenn er sich noch so bemühte, er schaffte es nicht, Hanka direkt anzusehen. Er nahm ihre Nähe wahr, mit einem Seitenblick erfasste er den weiÃen Fleck ihres Gesichts, und immer wenn sie sich bewegte, ging ein Hauch von Orange von ihr aus. Er war sich nicht sicher, ob der Duft den Falten von Hankas T-Shirt, ihren Haaren oder ihrer Haut entströmte, jedenfalls war er sehr sympathisch und verlieh dem Frühlingsabend eine südliche Atmosphäre. Als würden sie nicht in den schlesischen Bergen sitzen, sondern am Mittelmeer. Darek lieà seiner Fantasie freien Lauf: Eine Verabredung mit Hanka am Strand wäre viel romantischer und würde eine Menge Möglichkeiten bieten. Sie könnten zum Beispiel durchs flache Wasser waten und Muscheln sammeln. Dort gäbe es selbstverständlich glitschige Steine und Hanka würde sich an Darek festhalten müssen. Oder er würde sicherheitshalber den Arm um ihre Hüfte legen. Sie würden schweigen und â¦
»Was werdet ihr tun?«
Hankas Frage zog Darek weg vom Strand, zurück in die Realität. Dem mitleidigen Ton nach zu urteilen, spielte sie auf Dareks Vater an.
»Es wird sich schon etwas finden«, verkündete er mit vorgetäuschter Lässigkeit. »Vater kann alles. Jede Firma, die ihn einstellt, wird sich alle zehn Finger nach ihm lecken.«
»Es ist immer noch Krise«, erwiderte sie skeptisch. »WeiÃt du, was das heiÃt?«
»Das weià doch jeder«, antwortete er. »Die entscheidende Phase einer Krankheit. Meistens gefährlich, aber ziemlich oft führt sie zur Heilung.«
Er blickte Hanka immer noch nicht an, aber aus den Augenwinkeln sah er, dass sie sich zu ihm drehte.
»Zur Heilung von was?«, fragte sie verständnislos.
»Die ganze menschliche Gesellschaft ist krank«, belehrte er sie und war froh, dass ihm im Mondlicht die Röte, die ihm ins Gesicht schoss, nicht anzusehen war. Ungern plapperte er fremde Meinungen nach, aber jetzt passten die Worte von Herrn Havlik perfekt und Darek hatte sie noch ganz genau im Gedächtnis. »Wir sind voll verblödet. Wir wollen immer mehr und mehr haben, aber das bedeutet auch mehr geben. Von
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