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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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nachgenießen. Doch Vaters niedergeschlagener Monolog, den er aus der Küche mitbekam, durchkreuzte seine Pläne. Er schaffte es nicht, sich nach oben zu schleichen und den Vater in diesem Zustand alleine zu lassen. Das eigene Glücksgefühl erlaubte es nicht.
    Er zog den Fuß zurück, ließ das Geländer los und ging unentschlossen auf die Küche zu. Was sollte er machen? Er könnte so tun, als ob er Durst hätte. Der Vater würde zwar merken, dass er nicht im Schlafanzug war, aber das spielte keine Rolle – er hatte sowieso, was Dareks Schlafgewohnheiten anging, längst die Flinte ins Korn geworfen. Während Darek sich ein Glas Wasser einlaufen ließ, könnte er fragen. Zum Beispiel etwas zu den zwei neuen Pferden. Oder irgendetwas anderes, was den Vater auf fröhlichere Gedanken bringen würde.
    Â»Sie liquidieren den Betrieb … verkaufen die Forderungen … bezahlen die Schulden … Nichts bleibt. Als wäre er nie gewesen … Und ich?«, fuhr der Vater in seinem wehmütigen Monolog fort. »Soll ich mich auch liquidieren?«
    An der Tür blieb Darek zögerlich stehen. Er spürte, dass es riskant war, einzutreten. Vaters Selbstmitleid konnte schnell in Wut umschlagen, wenn er mitkriegte, dass Darek ihn belauscht hatte. Besonders wenn Vater etwas getrunken hatte.
    Darek machte noch einen Schritt und streckte den Hals vor. Durch den Türspalt hatte er den Tisch im Blickfeld. In der Mitte lagen die Zeitung und ein Stift, mit dem der Vater Stellenangebote markiert hatte. Nirgends eine Spur von Schnaps oder anderem Alkohol. Der Stuhl gegenüber der Tür, auf dem der Vater immer saß, war leer. Darek schlich sich noch ein Stückchen näher heran. Endlich erblickte er den Vater. Er lehnte an der Küchentheke, sein Gesicht in seinen Handflächen vergraben, die Schultern nach vorne gekrümmt. Darek fröstelte es. Nie zuvor hatte er den Vater in einer solchen Haltung gesehen. Er kannte ihn zornig, schweigsam, scheinbar ruhig oder laut seine Freude äußernd. Jetzt sah er aus wie ein geprügelter Hund.
    Â»Ich bin eine Null«, sagte er und schüttelte über sich selbst den Kopf. »Eine totale Null.«
    In Darek stieg eine heftige Welle des Protestes hoch. Vaters Hilflosigkeit machte ihn wütend, sie beleidigte ihn fast. Sie war unwürdig. Er sollte mal die Schlacht von Shiroyama spielen, damit er sah, wie man gegen eine Übermacht kämpfte! Natürlich war er kein Samurai, aber er war groß und stark und erwachsen! Er hatte kein Recht, sein Gesicht so zu vergraben und die Schultern so hängen zu lassen! Wovor hatte er denn Angst? Er hatte seine Arbeit verloren, na und? Er würde eine andere finden. Er war kein Dummkopf und hatte keine zwei linken Hände, er brauchte keine Befürworter, die sich für ihn einsetzen würden! Immer wusste er weiter, er würde es ganz bestimmt auch jetzt schaffen! Die Pferdezucht würde auf Touren kommen, sie würden anfangen, damit Geld zu verdienen! Ohne Mutter war zwar alles schwieriger, aber er, Darek, war doch auch noch da. Er half doch, wo und wie er nur konnte! War das etwa zu wenig? Bedeutete das dem Vater etwa nichts?
    Plötzlich fühlte er eine unbändige Lust, in die Küche zu laufen, dem Vater die Hände vom Gesicht zu reißen und ihn anzuschreien: »Heul nicht, du Memme!«
    Vaters Stimme fuhr inzwischen in der quälenden Selbstjustiz fort. »Ich bin in jeder Hinsicht ein völliger Versager. Selbst als Vater kann ich mich ausstopfen lassen.«
    Darek reichte es. Es gab bestimmt viel schlimmere Väter, da war er sich sicher.
    Â»Es gibt viel schlimmere Väter als dich«, ertönte es plötzlich aus einer anderen Ecke der Küche. Darek zuckte zusammen. Es klang wie das Echo seiner Gedanken. Im Türspalt sah er eine Frauenhand und den Rand eines veilchenfarbenen Ärmels. Die Hand berührte Vaters Stirn und streichelte ihm über die Haare. Darek kannte die Hand und den Ärmel. Ohne den geringsten Zweifel erkannte er auch Martas Stimme, obwohl sie sich noch nie so zärtlich angehört hatte. Sie surrte wie ein Bächlein. »Es hat keinen Sinn, sich andauernd selbst die Schuld zu geben, Ota, das hilft auch nichts.«
    Der Vater zog langsam die Hände vor dem Gesicht weg und Darek sah für einen Augenblick seine geröteten Augen. Auch das noch!, dachte er erschüttert. Er hat doch

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