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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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Freude, sie nach Dingen zu fragen, die er eine Hanka aus Fleisch und Blut nie zu fragen gewagt hätte und die er ihr auch nie hätte schreiben können. »Du lachst über den Mammutpickel auf meinem Kinn? Der auf der Stirn ist noch genialer, guck mal!«
    Er schob die Haare beiseite und enthüllte die entzündete Pustel mitten auf seiner Stirn.
    Â»Ein richtiger Popocatepetl, was?«
    Hanka ließ ihn nicht wissen, was sie über seine Akne dachte. Sie blickte ihn mit unverändertem Interesse weiter an, an ihrem Mund eine Sprechblase mit den Worten I want you around . Das Foto war neu, es gehörte zu der hellen Seite ihrer Galerie. Darek meinte in dem Gebäude hinter ihrem Rücken das Bruntaler Gymnasium zu erkennen, aber sicher war er sich nicht. Er hatte die Schule nur einmal mit Mutter besucht, am Tag der offenen Tür. Er erinnerte sich an den majestätischen Eingang, an das schmucke Treppengeländer, die Eltern, die mit ihren Kindern hoch- und runterliefen, und an den bärtigen Schulleiter, der ihnen von den Projekten und Aktivitäten der Schule erzählt hatte. Dann hatten sie sich die Klassen angeschaut. Am besten hatte Darek der Informatikraum gefallen. Er war großzügig mit Rechnern bestückt und hatte eine große interaktive Tafel. Hinterher, als sie die Schule verließen und zum Bahnhof zurückgingen, legte Mutter Darek die Hand auf die Schulter und drehte ihn zu sich. »Also, was sagst du?«, fragte sie. »Würdest du gerne auf diese Schule gehen?«
    Â»Und du?« Er war es gewohnt, sie nach ihrer Meinung zu fragen. »Würdest du wollen, dass ich auf diese Schule gehe?«
    Â»Du würdest hier bestimmt mehr lernen als auf unserer Schule in Piosek. Du musst dir aber klarmachen, dass Bildung nicht alles ist. Du musst auch etwas dazu beitragen – etwas außer Büffeln. Etwas, das dir kein Gymnasium und auch keine Universität geben kann.«
    Â»Was denn?«
    Â»Anständigkeit und Freundlichkeit, was sonst! Es laufen genug studierte selbstsüchtige Flegel auf der Welt herum. Es würde mir leidtun, wenn du dich bei ihnen einreihen würdest.«
    Sie hatten später noch im Zug darüber gesprochen und waren zum Entschluss gekommen, dass Darek kein selbstsüchtiger Flegel werden würde. Er würde sich den Winter über vorbereiten und im Frühling zur Aufnahmeprüfung gehen. Den Rest würden sie dem Schicksal überlassen. Zu Hause hatten sie das Thema nicht mehr erwähnt, aber Darek hatte seitdem viel darüber nachgedacht, ob er überhaupt eine Chance hatte, aufs Gymnasium zu kommen. Das würdevolle, erwachsene Benehmen der Oberstufenschüler, die sie durch das Schulgebäude geführt hatten, hatte Eindruck auf ihn gemacht. Er hatte überlegt, ob auch er in der neuen Umgebung erhabener sein würde. Zivilisierter. Ob er die Raufereien mit Hugo unterlassen würde.
    Es waren voreilige Überlegungen gewesen. Kurz darauf wurde es Mutter zum ersten Mal schlecht und die Tage, die folgten, veränderten alles. Die meiste Zeit beanspruchte Ema, das Gymnasium hatte keinen Platz mehr in Dareks Zeitrechnung.
    Â»Komm her, Kleine«, ertönte auf einmal Emas Stimme aus dem Zimmer. Sie redete wie gewöhnlich im Schlaf. Diesmal träumte sie wohl von Waliserin, mit der sie den ganzen Nachmittag verbracht hatte. »Whoa! Wo … wo läufst du hin?«
    Gleich im Anschluss hörte Darek einen Wumms. Er stand vom Rechner auf. Ema zappelte immer im Schlaf, oft kam es vor, dass sie aus dem Bett fiel, nicht wach wurde und stundenlang auf dem Fußboden weiterschlief. Morgens war sie dann erkältet. Einmal hatte sie sich auf diese Weise sogar eine Lungenentzündung zugezogen. Die Mutter war deshalb immer nach ihr schauen gegangen und nun tat es Darek – zumindest dann, wenn er selber schlafen ging. Es machte ihm nichts aus, weil er sowieso meistens am Computer saß, ein paar Schritte von Emas Zimmer entfernt.
    Darek öffnete leise die Tür. Auf dem Boden sah er den Plüschbär und daneben Emas heruntergetretene Bettdecke. Er hob beides auf, deckte seine schlafende Schwester zu und platzierte den Bären auf der Fensterbank. Dann schlich er zurück in den Flur. Ehe er sich wieder an den Rechner setzte, beugte er sich über das Geländer und horchte. Der Vater hatte Spiegeleier zum Abendessen gemacht und Ema danach einen Gutenachtkuss gegeben, und seitdem hatte

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