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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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nichts kommt nichts, ist doch klar. Außerdem hat all das, was man zu brauchen glaubt, einen hohen Preis.«
    Hanka nickte langsam. Er hatte sie offensichtlich beeindruckt.
    Â»Du hast recht«, sagte sie. »Unser Mathelehrer behauptet, dass wir den Sinn für die Realität total verloren haben. Er sagt, dass wir uns eine virtuelle Welt mit einer virtuellen Ökonomie geschaffen haben und dass wir keine Beziehungen mehr aufbauen, sondern sie nur noch simulieren.«
    Â»Beziehungen zu wem?«
    Â»Zueinander und zu allem Übrigen. Schau dir beispielsweise mal dieses Wrack von Denkmal an. Meinst du, jemand repariert es jemals?«
    Â»Meinetwegen kann es zerfallen. Denkmäler sind nutzlos.«
    Â»Das kannst du nicht sagen. Wenn Ludwig nicht gewesen wäre, würden wir nicht hier sitzen«, erwiderte sie.
    Â»Stimmt. Wir würden woanders sitzen.«
    Darek traute sich jetzt doch, ein paar Zentimeter näher an sie heranzurücken. Nun berührten sie sich leicht an den Schultern und am Bein. Er hielt den Atem an und wartete mit klopfendem Herzen, was Hanka tun würde. Sie zog sich nicht zurück.
    Â»Ich will dich etwas fragen«, sagte sie.
    Â»Was denn?«
    Er nahm allen Mut zusammen und sah sie an. Das Mondlicht formte eine Miniaturlandschaft aus ihrem Gesicht. Das Grübchen am Kinn wurde zum Tal, der Schatten der Nase erinnerte an ein Wäldchen, die Wangenknochen an ein weißes Gebirge. Die Augen schienen noch abgründiger als sonst. Als Darek hineinblickte, konnte er gar nichts erkennen. Es beunruhigte ihn, trotzdem wich er nicht aus. Er wartete ab, was Hanka fragen wollte, und hoffte, dass es etwas sehr Vertrauliches war, was die Entfernung zwischen ihnen noch weiter verringern würde.
    Â»Mir ist eingefallen, dass ich meinen Vater fragen könnte, ob es bei ihnen in Opavia Arbeit gibt. Was sagst du dazu?«
    Darek unterdrückte seine Enttäuschung. Als vetraulich konnte man Hankas Frage beim besten Willen nicht bezeichnen.
    Â»Was für eine Arbeit?«
    Â»Du sagst doch, dass dein Vater alles kann. Da dachte ich …«
    Â»Ein Zuckerbäcker ist er nicht.« Trotz aller Mühe gelang es ihm nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. Das Gespräch ging in eine Richtung, die ihm nicht recht war. »Kekse und Schokolade hat er nie gemacht.«
    Â»Schokolade und Kekse werden von Maschinen produziert, aber die müssen gewartet und repariert werden«, sagte Hanka ruhig. Entweder nahm sie seine Gereiztheit nicht wahr, oder sie ignorierte sie einfach. »Ich will nichts versprechen, aber fragen kann man ja mal. Wenn es irgendwie geht, wird Vater es einrichten.«
    Darek schwieg. Hankas Angebot war gut gemeint und außerdem überhaupt nicht naiv. Ihr Vater verfügte bestimmt über genügend Einfluss, solche Dinge einzurichten , aber genau das war der Haken an der Sache. Er wollte nicht, dass sich Hankas Vater für seinen Vater einsetzte. Es würde Verpflichtungen mit sich bringen. So als würde man sich etwas leihen und es abbezahlen müssen. Bisher war Hanka nur älter, in allem anderen war Darek ihr ebenbürtig. Er ging zwar nicht aufs Gymnasium, beide wussten jedoch, dass er es gepackt hätte. Jetzt drohte Gefahr, dass die Beziehung zwischen ihnen anders werden würde. Dass Darek Dankbarkeit würde zeigen müssen. Bestimmt würden sie nicht darüber reden, aber sie würden es spüren. Das war eine unerträgliche Vorstellung. Sie zerstörte den Zauber der nächtlichen Verabredung, Hankas Orangenduft und auch die romantische Mittelmeerstimmung. Darek fühlte sich erbärmlich.
    Â»Also was?« Hanka stupste ihn an. »Gefällt dir meine Idee?«
    Â»Sie ist für ’n Arsch.«
    Er sah, wie sie zusammenzuckte. Noch nie hatte er vulgär mit ihr gesprochen, vielleicht hatte sie gedacht, dass er keine Schimpfwörter kannte. Natürlich hatte er einen reichen Vorrat davon, wie jeder andere auch. Er benutzte sie jedoch nur vereinzelt, wenn sie ihm angemessen schienen. Hier waren sie richtig am Platz.
    Â»Etwas Blöderes hätte dir nicht einfallen können«, fuhr er gereizt fort. Er war so sauer, dass er nicht weiter dasitzen konnte. Er stand abrupt auf und stieß sich den Kopf an Beethovens Armstümpfen.
    Â»Verschiss… Ludwig!«, stieß er hervor. »Einstürzen sollst du endlich!«
    Er glaubte Hankas leises Kichern zu vernehmen, aber er irrte sich

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