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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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aus Ostrawa zu ihnen kamen. Beide waren mollig, die eine hatte wasserstoffgebleichte Haare, die zweite sah aus wie eine Naturblondine. Mutter bot ihnen jedes Mal einen Kaffee an, sie saßen im Wohnzimmer und redeten. Dann gingen sie meistens in Emas Zimmer hoch, manchmal machten sie auch einen gemeinsamen Spaziergang. Darek gingen ihre Besuche auf den Geist. Es störte ihn, dass wildfremde Beamtinnen in ihrem Privatleben herumschnüffelten und sich im Haus umsahen, als ob sie etwas suchten, was nicht in Ordnung war. Er sagte es der Mutter. Die erwiderte, dass das nicht so sei. Das seien liebe Frauen, die versuchten zu helfen. Das Zentrum zahlte nun nicht nur den Pflegezuschuss, zusätzlich kam es für Emas Gymnastik- und Schwimmkurse auf, schickte ihr Bücher und CDs zum Sprechen- und Schreibenlernen und lud sie zu Theatervorführungen, Ausflügen und Ferienlagern ein. Zwei Mal hatten Ema und Mutter einige Wochen in der Hohen Tatra in einem Erholungsheim verbracht und immer waren sie ganz begeistert zurückgekommen. Ema hatte sogar auf Slowakisch grüßen, danken und im Speisesaal um Nachschlag bitten gelernt. Ohne das Familienzentrum, hatte Mutter gesagt, hätten sie sich einen solchen Aufenthalt kaum leisten können.
    Â»Hier haben Sie ihn!« Der Englischlehrer schob Darek in den Raum.
    Aus dem Sessel erhob sich eine Frau in rot kariertem Kostüm. Als sie Darek anschaute, erinnerte er sich sofort an sie: Es war die Wasserstoffblonde. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er schüttelte sie.
    Â»Guten Tag«, grüßte er. Der Händedruck brachte wieder die früheren Begegnungen und Gefühle hervor. Die Hand der Frau war weich und lasch, fühlte sich fast knochenlos an; man hatte fast Lust, sie zu drehen, um auszuprobieren, ob sie abreißen würde.
    Â»Da bin ich aber froh, dich wiederzusehen«, sagte sie. »Ich will dich nicht um deine Pause bringen, aber du schenkst mir doch ein paar Minuten, oder?«
    Darek nickte und der Lehrer ging zur Tür zurück.
    Â»Sie entschuldigen mich, ich habe Pausenaufsicht im Hof«, erklärte er und verschwand. Darek wurde nervös. Er wollte mit der Frau nicht allein bleiben. Nicht, dass sie ihm unsympathisch war, aber er spürte, dass sie über unangenehme Dinge sprechen würden.
    Â»Setz dich«, forderte sie ihn auf und nahm im Stuhl vor ihm Platz. »Seit ich dich das letzte Mal gesehen habe, bist du gewachsen.«
    Dem war nichts weiter hinzuzufügen und so setzte er sich schweigend ihr gegenüber. Er erinnerte sich genau, wann er Frau Kotschi das letzte Mal gesehen hatte. Das war im vergangenen Herbst gewesen – nicht bei ihnen zu Hause, sondern in Ostrawa. Sie hatte Mutter im Krankenhaus besucht und hatte Kürbiskuchen mitgebracht. Mutter hatte nichts essen dürfen, sie stand kurz vor der Operation, also hatten Ema und Darek den Kuchen verspeist. Er schmeckte fad, was Darek sofort mit dem Händedruck der Frau in Zusammenhang brachte. Eine lasche Hand konnte nur fade Kuchen backen, dachte er.
    Â»Ema ist auch gewachsen«, fuhr Frau Kotschi fort. »Sie ist ein großes Mädchen geworden.«
    Darek bejahte, doch dann fiel ihm auf, dass mit ihrer Bemerkung etwas nicht stimmte.
    Â»Woher wissen Sie das?«, fragte er. »Haben Sie sie gesehen?«
    Â»Ich bin gerade eben in ihrer Schule gewesen«, antwortete sie lächelnd. »Ich habe mit ihrer Lehrerin Frau Paterova gesprochen. Sie hat dich sehr gelobt.«
    Â»Mich? Wofür?«
    Â»Du kümmerst dich wohl sehr gut um deine Schwester.«
    Darek zuckte verlegen mit den Schultern. Er konnte auf das Lob nicht richtig reagieren, außerdem störte ihn das sehr gut in ihrem Satz. Er kümmerte sich um Ema so, wie er konnte. Er brauchte keine Noten dafür.
    Â»Vielleicht ist es dir nicht so ganz klar, wie wichtig das gerade jetzt ist«, erklärte Frau Kotschi lebhaft. »Kinder wie deine Schwester brauchen vor allem einen festen Punkt, an den sie sich anlehnen können. Das ist deine Mutter gewesen. Aber jetzt …«
    Â»An einen Punkt kann man sich nicht anlehnen«, erwiderte Darek. Ihre Belehrungen nervten ihn, er hoffte, sie mit seiner Bemerkung aus dem Konzept zu bringen.
    Â»An einen beliebigen Punkt nicht, da gebe ich dir recht. Wenn jedoch dieser Punkt dein Lebensmittelpunkt ist, sagen wir ein Schwerpunkt, und du ihn plötzlich verlierst, dann kann es dich aus dem Gleichgewicht bringen. Und

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