Orangentage
wie sie ihn lobte, welche Ausdrücke sie benutzte, wie sie sich auf Mutter berief. Das war nicht fair. Er hatte gröÃte Lust, ihr zu sagen, sie solle sich ihre Reden sonst wohin stecken, aber er beherrschte sich, gab ihr die Hand und verlieà wortlos den Erdkunderaum.
Es hatte noch nicht geklingelt. Der Gang war wie leer gefegt, auf dem Hof der Lärm der groÃen Pause. Alle hörten sich sorgenfrei an, hin und wieder drang ein vereinzelter Schrei zu Darek herüber, das Abprallen eines Balles, Gelächter. Der leere Raum um ihn herum verwandelte den fröhlichen Lärm in eine unsichtbare, aber feste Mauer, die Darek von den Mitschülern und Lehrern trennte, ja, von dem ganzen Rest der Welt vielleicht. Plötzlich wurde ihm klar, dass er immer, wenn er Kummer und Sorgen hatte, abseits von den anderen stand. Er hätte zu gern gewusst, ob ihn die Umstände auf diese Weise dazu bringen wollten, seinen Sorgen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sich ihnen zu stellen. Er sträubte sich gegen eine solche Bedrängung, aber er vermochte auch nicht, einfach zu den anderen zu gehen und sich unbekümmert mit ihnen zu unterhalten.
Er betrat die leere Klasse, setzte sich und legte das gefaltete Schriftstück vor sich auf den Tisch. Er legte die Hand darauf, krümmte die Finger, spürte, wie das Papier nachgab. Es war angenehm. Er verstärkte den Druck. Aus der amtlichen Aufforderung, die gerade eben noch vor Wichtigkeit nur so gesprüht hatte, wurde langsam ein bedeutungsloses, verknittertes Kügelchen. Darek presste es noch mehr zusammen, bis es ganz in seiner Hand verschwand, holte aus und warf. Die Kugel landete mit einem sanften Aufprall im Abfalleimer neben der Tafel. Das munterte ihn auf. Die einfachsten Lösungen sind die besten, dachte er.
Die Schulglocke begann durchs Gebäude zu scheppern, die Pause war zu Ende. Darek vernahm das Zuschlagen der Pforte, die eindringlichen Befehle eines Lehrers, das Schnattern und Getrampel auf der Treppe. Sie hatten die Stille weggedrückt und die unsichtbare Mauer eingerissen, die Darek vom Rest der Welt getrennt hatte. Gleich würde jemand die Tür aufstoÃen und hereinstürmen. Er hörte schon die Stimmen der Mitschüler im Gang näher kommen, Hugos lautes Gelächter war auch nicht zu überhören. Darek stand schnell auf. Plötzlich war er nicht mehr sicher, ob die einfachsten Lösungen die besten waren. In der Schlacht von Shiroyama musste er lange und umständlich manövrieren, um wenigstens einen Teilsieg zu erringen. Eine einfache, direkte Abwehr wäre ein schicksalhafter Fehler gewesen und hätte sofort zu einer vernichtenden Niederlage geführt.
Die Tür flog auf, Hugo platzte herein. Als er Darek sah, grinste er. Seit der gestrigen Schlägerei hatten sie nicht mehr miteinander geredet, beide brauchten sie eine Verschnaufpause. Jetzt war es an der Zeit, eine neue Runde einzuläuten, zumindest mit Worten.
»Was machst du hier, Streber? Strebst du auch in der Pause?«, begann Hugo das Gespräch.
»Genau, du Blödmann, ich strebe«, erwiderte Darek. »Ich habe nämlich Schiss.«
»Wovor denn, du Weichei?«
»Ich fürchte, dass ich so blöd bleiben könnte wie du.«
»Provozier mich nicht, sonst gehst du wieder ohne Schuhe nach Hause!«
»Lieber ohne Schuhe als ohne Arme. Du hättest gestern gar nicht im Tor stehen müssen. Die Bälle durchlassen kann auch die Luft!«
»Aber sich den Ball abluchsen lassen, das kann nicht jeder!«
»Da kannst du drauf wetten, du Eumel!«
»Da wette ich drauf, du Hackfresse!«
Sie zeigten sich gegenseitig den Mittelfinger und drehten einander den Rücken zu. Darek steuerte auf den Mülleimer zu und fischte die verknitterte Papierkugel heraus. Er steckte sie in die Hosentasche, fest entschlossen, jetzt nicht daran zu denken. Später würde er sehen, wie er damit umging.
3.
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Stell dir vor, das ist der erste Schokoriegel seit Anfang der Ferien!«
»Rationiert deine Mutter immer noch den Zucker?«
»Das nicht, aber ich habe bis jetzt gar keinen Appetit gehabt«, erklärte Mischa, während er den Schokoriegel aus der Hülle befreite. Er zerriss nie das Papier von SüÃigkeiten, sondern packte sie immer mit liebevoller Aufmerksamkeit aus, als ob das seine Freude am Naschen noch steigern würde. »Bis gestern war ich auf Penicillin. Das hat mir den Magen total
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