Orangentage
hinkritzelt?«
»Nein, das will ich bestimmt nicht.«
»Worum geht es Ihnen dann?«, fuhr er sie mit unverhohlener Wut an. »Nur damit Sieâs wissen, Ema hat sich in vielen Dingen verbessert! Sie sollten sehen, wie sie sich um die Kaninchen kümmert! Wie sie reitet ⦠und singt, wenn ich dazu Mundharmonika spiele! Sie sammelt alleine Eier ein und macht sich vor dem Spiegel einen ganz geraden Scheitel! Ist das Ihrer Meinung nach zu wenig? Sie suchen nur Fehler, nichts Positives interessiert Sie!«
»Jetzt tust du mir aber unrecht â¦Â«
»Warum sind Sie überhaupt zu mir gekommen? Um mir einen Vortrag über den Alkoholkonsum meines Vaters zu halten? Warum gehen Sie nicht direkt zu ihm und sagen ihm ins Gesicht, dass er ein Säufer ist?«
»Wenn ich mit ihm reden könnte, dann würde ich ihm sicher meine Bedenken schildern. Damit habe ich kein Problem.«
»Womit haben Sie dann ein Problem?«
»Dein Vater geht mir und uns vom Zentrum leider aus dem Weg.«
»Blödsinn«, entgegnete er.
»Er reagiert nicht einmal auf Briefe und auch nicht auf die telefonischen Aufforderungen. Er geht mit Ema nicht turnen, er kommt nicht zu unseren Elterntreffen und auch nicht in die psychologische Beratungsstelle. Und einmal, als ich angerufen habe, hat er sogar gleich aufgelegt.«
Diesmal wusste Darek nicht, was er sagen sollte. Sie hatte recht und er wusste es.
»Die finanzielle Unterstützung und alle anderen Dienste sind abhängig von der Zusammenarbeit der Familie mit dem Zentrum, von der Kommunikation. Wenn die ins Stocken gerät, werden wir aufmerksam und suchen nach einer Ursache.«
Ihre Stimme war immer noch ruhig, doch die anfängliche Freundlichkeit war einem Beamtenton gewichen. Sie griff in die Aktentasche, zog eine Mappe mit Papierbögen heraus, suchte eine Weile darin herum und legte dann ein Schriftstück auf den Tisch. Es sah bedrohlich aus.
»Eine Aufforderung zu einem Besuchstermin. Die dritte. Die ersten zwei blieben ohne Antwort«, sagte sie und fuhr mit dem Finger über die Zeilen auf dem Papier. Bei den fett gedruckten Stellen hielt sie inne und klopfte mit dem Fingernagel darauf. »Es steht alles hier, schwarz auf weiÃ. Wann ihr kommen sollt, mit wem ihr reden werdet, was Gesprächsgegenstand sein wird. Ich wollte es deinem Vater persönlich übergeben, aber er ist nicht zu Hause. Oder vielleicht ist er es und macht absichtlich nicht auf.«
»Er ist zum Arbeitsamt gefahren«, sagte Darek, nicht mehr angriffslustig. Er musste versuchen, sich mit Frau Kotschi zu arrangieren, am besten ohne sich aufzuregen. »Ihr habt euch hier einen Tag und eine Stunde ausgedacht, aber was ist, wenn Ema krank wird? Oder ⦠oder vielleicht stellt man bis dahin Vater irgendwo ein, er wird dann feste Arbeitszeiten haben und nicht kommen können!«
»Dann teilt er uns das rechtzeitig mit und wir einigen uns auf einen anderen Termin«, antwortete sie und hielt ihm das Schriftstück so lange hin, bis er es entgegennahm. »Wenn dein Vater auch dieses Mal nicht reagiert, werden wir weitere Schritte unternehmen müssen, verstehst du?«
Zögernd nickte er. Er wusste nicht, was genau sie ihm damit sagen wollte, aber er verstand es wie eine Drohung, hinter der sich eine Einrichtung oder ein Heim oder etwas Ãhnliches verbarg.
»Nimm es nicht so tragisch. Alles kommt in Ordnung, du wirst sehen.« Frau Kotschi stand auf und trat an Darek heran. »Wir müssen nur an einem Strang ziehen.«
Sie war kleiner als er, von oben sah er, wie ihre blonden Haare herauswuchsen â am Haaransatz waren sie grau. Aus irgendeinem Grund stimmte ihn das milder gegen sie. Er faltete das Schriftstück zusammen, mit der Textseite nach innen, damit er die fetten Buchstaben nicht sah.
»Wenn Vater zurück ist, gebe ich es ihm«, sagte er.
»Das ist nett von dir.« Sie hatte den Beamtenton abgelegt und lächelte wieder. »Du hast es nicht leicht, nicht wahr? Ich kann mir vorstellen, wie viel Zeit und Geduld dich deine Schwester kostet. Eure Mutter hat immer gesagt, dass sie sich in allem auf dich verlassen kann â weil du verantwortungsbewusst bist. Versuch mit deinem Vater zu reden, von Mann zu Mann. Ich bin sicher, dass wir es gemeinsam am Ende auf eine Eins schaffen.«
Verantwortungsbewusst! Auf eine Eins! Es ging ihm gegen den Strich, wie viel Verständnis sie zeigte,
Weitere Kostenlose Bücher