Orangentage
den Viren, die in ihrem Körper tobten, und damit, dass es ihr wirklich schlecht ging. Er versuchte seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden, vor allem der Mundharmonika. Er nahm sich vor, das Instrument über die Sommerferien zu beherrschen. Er spielte die besten Soli auf Youtube ab und versuchte dann drauÃen bei den Pferden Kim Wilson oder Sugar Blue nachzuahmen. Er schonte sich nicht, spielte, dass es ihm in den Ohren dröhnte, aber es klang noch lange nicht gleichmäÃig und sauber. Vom Tremoloüben war seine Zungenspitze wund und von dem ständigen Mundverziehen und Lippenspitzen hatte er Muskelkater im Gesicht. Die Overblows und Overdraws bereiteten ihm immer noch Probleme, aber er war entschlossen, nicht aufzugeben. Ema ermunterte ihn mit ihrer Begeisterung.
»Noch einmal das lange Heulende«, bat sie immer wieder. »Das spielst du sooo schööön!«
Die Pferde traten unruhig auf der Stelle, liefen ans andere Ende der Koppel und schüttelten die Köpfe. Once Upon a Time in the West hing ihnen schon zum Hals heraus. Als Darek mindestens schon zum hundertzwanzigsten Mal Morricones klagenden Ton herauskitzelte, dieses Mal mit besonderem Einsatz und Gefühl, wieherte Waliserin so entnervt, dass Darek die Mundharmonika für den Rest des Nachmittages lieber in der Hosentasche verschwinden lieÃ. Ema behauptete zwar, dass Waliserin vor Freude gewiehert hatte, das konnte Darek aber beim besten Willen nicht glauben. Er hatte Angst, die Stute könnte von seinen musikalischen Experimenten einen Herzinfarkt bekommen.
»Denkst du, dass Tiere an Musik verrecken können?«, fragte er Mischa, den Blick immer noch zum Fenster gerichtet. Je länger er das Motorrad betrachtete, desto unwiderstehlicher erschien es ihm. »Ich meine, Pferde.«
»Es kommt auf das Pferd und die Musik an«, antwortete Mischa bedächtig und steckte sich das letzte Stück Schokoriegel in den Mund. »Das müsste man ausprobieren.«
»Ich habe ihnen etwas auf der Mundharmonika vorgespielt.«
»Und? Haben sie irgendwie extrem reagiert?«
»Zumindest haben sie gezeigt, dass sie mich hören und dass es ihnen auf die Nerven geht. Am meisten die Waliserin.«
»Das ist interessant. Vielleicht hängt das ja mit der Anzahl der Pigmente zusammen. WeiÃe Pferde haben vielleicht empfindlichere Ohren und ein besseres musikalisches Gehör als andere«, überlegte Mischa, während er sich aus der reichen Auswahl im Körbchen die nächste SüÃigkeit aussuchte. SchlieÃlich entschied er sich für eine Haselnusswaffel. »WeiÃt du was, wir können einen Versuch machen. Wir werden den Pferden nacheinander unterschiedliche Musikarten von Klassik bis Techno vorspielen und uns notieren, wie sie reagieren. Mann, das wird geil! Vielleicht zeigt sich, dass Pferde bei Barockmusik mehr fressen, bei Rock und Hip-Hop bessere Sportleistungen bringen, romantischer Country ihre Fruchtbarkeit erhöht und sie mit Madonna am besten einschlafen!«
»Mit Madonna?!«
»Na gut, dann mit Lady Gaga.«
»Lieber mit Pink. Aber wie sollen wir ihnen die Musik vorspielen, ohne dass es ein Konzert für das ganze Dorf wird?«
»Wir setzen ihnen Kopfhörer auf.«
Darek fing an zu lachen.
»Mischa, du bist ein Genie! Ich sehe schon Papa Schlumpf, wie er über die Wiese läuft, das Kopfhörerkabel am Arâ¦Â«
Er brach mitten im Satz ab. DrauÃen auf dem Weg waren Beine in Lederhosen aufgetaucht, die zwischen den Hortensien zum Gartenor stapften. Darek beobachtete es mit angehaltenem Atem. Seit er festgestellt hatte, dass der Besitzer des Motorrads bei Hanka war (bei der kranken!! Hanka, die Dareks Besuche ablehnte), konnte er an nichts anderes mehr denken. Er hatte zwar mit Mischa den Schalter in der Steuerkonsole der Eisenbahn repariert, eine neue Strecke mit Weichen und einer Brücke in Betrieb genommen, aber innerlich war er zwei Stockwerke weiter oben in Hankas Zimmer. Er kannte es nur flüchtig, war alles in allem zweimal dort gewesen, immer nur kurz, aber es hatte ihn schwer beeindruckt. Es war groà und so wie das ganze Haus herrlich eingerichtet. Darek war die gelbe Zimmerdecke in Erinnerung geblieben und auch der moosweiche türkisfarbene Teppich, die groÃe Fotocollage an der Wand, das Bett mit einer Patchwork-Tagesdecke. Sich den Angeber Schnegel vorzustellen, wie er kilometerlange Stunden auf den
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