Orangentage
hätte gern gewusst, wie lange sie schon da saÃ.
»Wann ist Papa weggefahren?«, fragte er, obwohl ihm ziemlich klar war, dass er eine unbefriedigende Antwort bekommen würde.
»Ich weià nicht. Ich glaube ⦠jetzt irgendwann.«
»Hat er gesagt, wann er wiederkommt?«
»Um â¦Â«, sie zögerte, »⦠um sieben Uhr.«
»Sicher?«
»Er hat gesagt, dass der groÃe Zeiger ganz oben sein wird und der kleine ⦠das weià ich nicht mehr.«
AuÃer der Schulglocke, die sie verstand und von der sie wusste, dass sie den Unterricht von der Pause trennt, war die Uhr für Ema ein unlösbares Rätsel. Vater hatte ihr bestimmt alles erklärt, aber sie hatte es vergessen. Vielleicht würde sie sich wieder erinnern, wenn Darek darauf bestand. Sie würde die Faust gegen die Stirn pressen und die verschollene Information würde nach längerer Zeit intensiven Nachdenkens schlieÃlich doch noch an die Oberfläche gespült werden, aber Darek wollte sie nicht quälen.
»Ist ja auch egal. Wenn er kommt, dann kommt er.«
Er rechnete damit, dass es spät werden würde, denn Vater war in den Lomnitzer Wald gefahren, um Sturmschäden wegzuräumen. Der Lohn waren fünfundachtzig Kronen die Stunde mit der Perspektive auf zwei oder drei Wochen Arbeit. Tags zuvor hatte er neun Stunden gearbeitet, den Tag davor sogar elf. Er fuhr in der Morgendämmerung weg und kam fast bei Nacht zurück, und obwohl er schwere körperliche Arbeit gewohnt war, sah er dann sehr erschöpft aus. Als ihn Darek in der Küche beobachtete, wie er sich eine Scheibe von der kalten Hackroulade abschnitt und langsam kaute, die Hand mit dem Messer gegen die Tischkante gelehnt, kam ihm der Vater auf einmal alt vor. Um die Augen und die Nasenwurzel herum bildete seine Haut KrähenfüÃe und in die gebräunte Stirn waren tiefe Furchen gegraben. Er saà da, mit gebeugtem Rücken, und sprach nicht, als wolle er seine Kräfte schonen. »Morgen soll ich erst nachmittags dort sein«, war das Einzige, was er zwischen zwei Bissen herausbekam. »Vormittags helfe ich dir mit Krokant.«
Darek hätte ihm am liebsten gesagt, dass er allein klarkam, aber er traute sich nicht. Der Hengst machte ihnen groÃe Sorgen in letzter Zeit. Der krumme Huf tat ihm immer mehr weh, er trat damit nicht mehr auf. Im Laufe des Sommers hatte er aufgehört zu fressen und er roch bestialisch.
»Ich glaube, es ist Strahlfäulnis«, meinte Anton zu Beginn der Ferien und brachte einen Tierarzt mit. Zusammen kratzten sie Krokants Huf aus und entfernten dabei beschädigte Hornschichten und erkrankte Stellen mit seltsamen, blutenden Auswüchsen.
»Von wegen Fäulnis, das wäre noch die harmlose Variante. Das sieht leider nach einer bösartigen Neubildung aus«, verkündete der Arzt. Und damit keine Zweifel und Fragen offenblieben, übersetzte er die Diagnose: »Hufkrebs.«
Krokant bekam ein starkes Antibiotikum, einen Druckverband und durfte nicht auf die Koppel. Darek säuberte zweimal täglich seine Box und streute frisches Stroh ein. Auch wenn drauÃen die Sonne schien, der warme Wind einen bittersüÃen Harzgeruch herantrug und das zufriedene Wiehern der Pferde bis in den Stall zu hören war, war Krokant anzusehen, dass ihn die Wiese nicht lockte. Er ruhte sich aus und sammelte seine Kräfte. Nach der ärztlichen Behandlung ging es ihm sichtlich besser, am zweiten Tag fing er an zu fressen und gegen Ende der Woche ging der Vater mit ihm spazieren. Der Arzt kam noch ein paarmal vorbei. Beim dritten Besuch untersuchte er auch die anderen Hufe von Krokant. Die hinteren waren in Ordnung, aber am linken vorderen entdeckte er eine noch fast unmerkliche Verformung des Strahls. Schweigend zeigte er sie dem Vater. Es war klar, dass man das angegriffene Gewebe entfernen musste, bevor es zu wuchern anfing. Diesmal war es nötig, Krokant in Narkose zu versetzen, denn er hatte den ersten schmerzhaften Eingriff noch gut in Erinnerung und wehrte sich wütend.
»Jetzt bleibt nur Warten und Hoffen«, gab der Arzt danach bekannt. »Ich glaube, ich habe alles entfernt, aber mit absoluter Sicherheit wird man das erst in ein, zwei Monaten sagen können. Ohne weitere Antibiotika kommt er natürlich nicht aus.«
Seine Worte beunruhigten Vater. Er befahl Darek, auf Krokant aufzupassen, nahm den Arzt zur Seite und redete besorgt
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