Orangentage
Patchworkquadraten saà und Hankas Gehirnwellen vor Glück vibrierten, das war für Darek unerträglich. Trotzdem lieà ihn diese quälende Vorstellung nicht los. Sie spukte in seinem Kopf herum wie ein Phantom. Ein Phantom ohne ein konkretes Gesicht, aber dafür mit männlichem Rücken, einem muskulösen Bauch und breiten Schultern. Jetzt endlich konnte er sein Phantombild mit der Realität vergleichen.
»Ein klarer Fall für die Klapse«, sagte Mischa verächtlich. »Schau ihn dir an!«
Darek rückte näher ans Fenster. Er sah einen tief sitzenden Gürtel, den Oberkörper, ebenfalls in schwarzem Leder, einen Arm, der den Helm umklammert hielt, und einen gepflegten Haarschopf. Das Profil mit einem markanten Kinn, auf dem ein Stoppelfeld spross.
»Würdest du auf die Idee kommen, bei solchem Wetter noch so eine Lederhaut anzuziehen? WeiÃt du, wie dieser Idiot schwitzen muss?«, ertönte Mischas höhnische Stimme.
»Während der Fahrt schwitzt er nicht. Und gegen Wind schützt Leder gut«, entgegnete Darek und wandte den Blick vom Fenster ab. Er wollte um jeden Preis Abstand wahren. Wenn Hanka Kreaturen in schwarzer Rinderhaut gefielen, war das ihre Sache. Sie konnte ja machen, was sie wollte, bewundern, wen sie wollte. Sie hatte Darek nichts versprochen, ihm nicht einmal zu verstehen gegeben, was sie von ihrer Beziehung hielt, ob sie überhaupt zusammen waren. Vielleicht war es für sie nur eine belanglose Angelegenheit, dass sie sich fünfmal geküsst hatten (genau genommen viereinhalbmal, denn einmal waren sie von Herrn Mihule gestört worden, der an der Haltestelle vorbeifuhr, wo sie im Juniregen standen und auf keinen Bus warteten. Er hatte seinen Lieferwagen angehalten und darauf bestanden, sie heimzufahren).
»Wirst du mich vermissen?«, fragte Hanka zu Beginn der Ferien, als sie sich vor ihrer Reise nach Prag verabschiedeten.
»Und du mich?«, fragte Darek zurück. Sie blickten sich an, keiner von beiden bereit, eine klare Antwort zu geben.
»Dann lassen wir uns mal überraschen!«, beendete Hanka das Gespräch. »Wir sagen es uns, wenn ich wieder zurück bin.«
Nicht nur, dass er sie vermisst hatte, er hatte auÃerdem dauernd daran denken müssen, ob er auch ihr fehlte. Während sich ihm jede Verabredung, jede Begegnung mit ihr tief eingeprägt hatte, waren sie für Hanka vielleicht weder auÃerordentlich noch wichtig. Sie war für Darek immer noch unerforschtes Land. Er kannte alle ihre Fotos, sie kommunizierten auf Facebook, einige Male hatten sie sich verabredet und ein paarmal hatte sie ihn bei den Pferden besucht. Doch ansonsten hatten sie jeder ihr eigenes Leben. Und wenn Darek sich nicht zu helfen wusste und die Augenblicke des Alleinseins in Gedanken bei Hanka verbrachte, war das seine, allein seine Sache â nicht einmal Mischa ging das etwas an. Darek hatte ihn in sein Gefühlschaos nicht eingeweiht. Auch wenn sie einander alles Mögliche anvertrauten, dies gehörte nicht zu den geteilten Geheimnissen.
» Oh my god, sie ist irre! Gestern hat sie noch mit Salbei gegurgelt und schau, was sie jetzt anstellt!«
Darek sprang schnell wieder zum Fenster. Mit Helm auf dem Kopf stieg Hanka gerade auf das Motorrad. Sie trug eine enge Jeans und eine rote Weste, die Darek bisher nicht an ihr gesehen hatte â vermutlich von der Tante aus Prag mitgebracht. Sie machte sich wirklich gut auf der Maschine, und als sie noch die Arme um die Hüften des ledernen Fahrers legte, musste Darek zugeben, dass sie wie ein elegantes Pärchen aus der Werbung aussahen.
»Wie fängt man âne flotte Biene? Am besten auf die Maschine!«, lieà Mischa verächtlich vernehmen. »Damit habe ich nicht gerechnet, dass sich Schwesterchen so einwickeln lässt. Mein Virus muss bei ihr scheuÃlich mutiert sein. Voll psycho ist das!«
»Sie will halt mal Motorrad fahren, was ist dabei?«, verteidigte Darek sie. An Hanka wie an jemanden zu denken, der sich einwickeln lieÃ, widerstrebte ihm. »Du würdest auch mitfahren, gibâs zu.«
»Mit Schnegel? Spinnst du? Nicht mal, wenn er mich auf Knien bitten würde! Mit dem kann man doch nur im Graben landen â das ist der angemessene Platz für Schnegel. Ich wundere mich, dass Hanka das nicht einleuchtet. Na ja, wie ich schon sagte: Niedrige Frequenz, hoher Ausschlag, da kann man nichts machen. Wenn
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