Orangentage
nicht mehr vernahm. Sie hatte aufgehört, gegen das Geländer zu treten, der Bär glitt auf den Boden und das Spiel verschlang ihre gesamte Aufmerksamkeit.
Unten in der Küche schnitt er einen Kohlrabi in Scheiben und steckte sie in seine Tasche. Dann steuerte er auf die Scheune zu. Morgens hatten sie Krokants Verband gewechselt, und während Vater die Box ausmistete, war Darek mit dem Hengst auf dem Hof spazieren gegangen. Es schien ihm, dass Krokant nur noch auf dem linken Vorderbein humpelte. Den rechten Huf schonte er nicht mehr. Auch seine Laune war schon sichtlich besser. Er schüttelte seine Mähne, trug den Kopf hoch und stupste Darek hin und wieder freundlich mit der Nase. Er wieherte nicht, aber das hatte er nie getan. Krokant war kein gesprächiges Pferd. Wahrscheinlich hatte er immer genug Stoff zum Nachdenken. Auch jetzt, als Darek im Scheunentor erschien, schaute Krokant ihn nur still an und spitzte die Ohren.
»Ich habe etwas für dich«, verkündete Darek. Er kletterte unter dem Latierbaum durch und fischte ein Stück Kohlrabi aus seiner Tasche. Der Hengst streckte den Hals und berührte Dareks Handfläche mit den Lippen. Es kitzelte angenehm.
»Nur damit duâs weiÃt, dieser Kohlrabi ist von Janoschs und die tun deine Ãppel auf ihre Beete«, informierte Darek ihn. »Also kann man sagen, dass du einen recycelten Teil von dir selbst isst, kapierst du?«
Krokant gab nicht zu verstehen, ob er kapiert hatte, dafür brachte er klar zum Ausdruck, dass das Stück Kohlrabi viel zu klein war und irgendwo in seinem Maul verloren gegangen war. Darek reichte ihm das nächste.
»WeiÃt du, was ich denke? Ich denke, dass du den Krebs nur simulierst. Du hast Gefallen daran gefunden, nicht wahr? Wieso auch nicht. Du stehst hier in deiner Luxussuite, Herr Havlik bringt dir deine persönlichen Sonderrationen Brot, alle tanzen um dich herum, wir zahlen den Arzt und du machst dir einen faulen Lenz. Ãbertreib es nur nicht, mein Freund! Wenn du dir für den dritten Huf auch noch eine bösartige Neubildung ausdenkst, dann kannst du was erleâ¦Â«
Plötzlich hatte er das Gefühl, nicht allein mit Krokant zu sein. Das Licht, das durch das halb geöffnete Tor hereinfiel, verdunkelte sich und der Hengst trat unruhig von einem Bein aufs andere. Darek drehte sich um. Hinter ihm stand Hanka. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber die Spirale des Ohrringes erkannte er deutlich, so wie die rote Weste und die eng anliegende Jeans.
»Hallo«, grüÃte sie.
»Hallo.« Er gab sich alle Mühe, so normal wie möglich zu klingen, aber das gelang leider nicht: Er quietschte wie ein verrosteter Wasserhahn. Es ärgerte ihn, nicht auf ihr Erscheinen vorbereitet zu sein.
»Was macht er hier?« Hanka trat näher an den Hengst heran. »Warum ist er nicht drauÃen?«
»Ich hab dir doch erzählt, dass er operiert wurde.« Auch dieses Mal klang es nicht natürlich, sondern gereizt. Fast gekränkt. Vielleicht würde er nie wieder ungezwungen mit Hanka reden können, dachte er. Sie stellte sich an den Latierbaum und betrachtete Krokants verbundene Hufe.
»Heilt es gut?«
»Ziemlich schnell.«
»Tut es ihm weh?«
»Frag ihn doch.«
»Tun dir die Hufe weh?«, fragte sie und strich über Krokants Hals. Ihre weiÃe Hand wirkte auf dem dunkelbraunen Fell wie ein Kunstwerk â wie eins der Reitermotive in den Gemälden im Bruntaler Schloss.
»Fass ihn besser nicht an.«
»Wieso nicht?«
Er antwortete nicht. Es gab nicht den geringsten Grund, warum sie Krokant nicht anfassen sollte. Doch Darek war gereizt und es kostete ihn Mühe, sich zu beherrschen. Im Gegenteil, er suchte nach einer Möglichkeit, Hanka zu verletzen, ihr etwas Kränkendes und Gemeines entgegenzuschleudern.
»Warum soll ich ihn nicht anfassen?«, wiederholte sie.
»Du bist krank.«
»Es geht mir wieder gut. Meinst du, er könnte sich überhaupt eine Menschengrippe einfangen?«
»Hoffentlich nicht. Wenn du ihn nicht leidenschaftlich umarmst und dich nicht an ihn schmiegst, so wie an deinen Lederkerl auf dem Motorrad«, konterte er. Er fühlte sich schon ein bisschen besser, aber nicht viel, und so setzte er noch einen drauf: »Unternimm bloà keinen Teufelsritt mit ihm, SüÃe!«
Sie lachte so laut heraus, dass Krokant erschrak und ein Stück zur Seite sprang.
»Darum geht
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