Orangentage

seinen Augen lag eine klare Aufforderung. Darek reichte ihm das letzte Stück Kohlrabi, bückte sich und verließ die Box. Als er sich Hanka näherte, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, sich die Haare ins Gesicht zu werfen, und dass seine Hände von Krokant vollgesabbert waren. Das erste Problem behob er durch heftiges Kopfschütteln, das zweite dadurch, dass er die Hände in die Hosentaschen schob. Er rieb sie am Futter ab und dachte, dass es wahrscheinlich ganz unnötige Vorkehrungen waren. Hanka würde ihn sowieso nicht anschauen und sich auch nicht anfassen lassen. Vielleicht würde sie nicht einmal mit ihm reden wollen.
    Â»Sind in dem Stroh Ameisen drin?«, fragte sie.
    Â»Warum?«
    Â»Irgendetwas hat mich in den Hintern gebissen.«
    Das war es! Genau das gefiel ihm an ihr! Noch mehr als ihre Augen. Sie spielte ihm nichts vor. Sie tat nicht beleidigt, nur weil es sich unter bestimmten Umständen so gehörte.
    Â»Es ist Stroh vom Vorjahr«, sagte er. »Da können alle möglichen Viecher drin sein.«
    Â»Auch Spinnen?«
    Â»Millionen von Spinnen«, bejahte er und hockte sich vor sie. Der Strohballen, auf dem sie saß, war nicht hoch, und wenn Darek den Rücken gerade hielt, war er mit ihr auf Augenhöhe. »Ich habe es dir doch erzählt. Wir lassen Spinnen leben, deshalb haben wir immer so viel Glück.«
    Er nahm ihre Hand – sie zuckte nicht weg. Er umschlang ihre Finger mit seinen.
    Â»Ich hab dir geschrieben«, sagte sie. »Warst du heute Vormittag nicht am Rechner?«
    Darek schüttelte den Kopf. Vor lauter Arbeit hatte er an den Rechner gar nicht gedacht. Nach dem Füttern der Pferde hatten Ema und er den Hühnerstall ausgefegt und Gras für die Kaninchen gesichelt – Tätigkeiten, die Hanka nicht kannte.
    Â»Was hast du geschrieben?«
    Â»Dass es mir schon besser geht. Und, ob du nicht nach dem Mittagessen kommen willst.«
    Â»Ich war bei euch. Ich meine, bei Mischa. Wir haben die Bahn repariert«, sagte Darek. Über den Auftritt am Kellerfenster schwieg er lieber. Er fühlte ihre Finger in seinen und langsam begriff er, was sie gesagt hatte. Verdammt, wenn er nur kurz die E-Mails überprüft hätte! Wenn er ihre Nachricht rechtzeitig gelesen hätte, hätte er sich anders organisiert! Er hätte einen Teil des Nachmittags in ihrem Zimmer verbringen können! Sie hätten zusammen Musik gehört, auf dem türkisen Teppich gesessen oder auf der Patchworkdecke, sie hätten … was auch immer! Sein Puls ging merklich schneller.
    Â»Unsere Eltern sind nach Opawa gefahren«, erklärte Hanka, »also dachte ich … Aber dann ist plötzlich Roman aufgetaucht.«
    Â»Du hättest ihn rausschmeißen sollen.«
    Â»Ich hab’s versucht, es ging aber nicht. Schließlich hab ich gedacht, der schnellste Weg, ihn loszuwerden, ist, zu ihm aufs Motorrad zu steigen.«
    Â»Er hat das bestimmt anders ausgelegt.«
    Â»Wie denn?«
    Â»Dass du in ihn verknallt bist.«
    Â»Ist mir egal, wie wer was auslegt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich werde niemandes Ansichten korrigieren. Es reicht, dass ich weiß, wer ich bin.«
    Sie beugte sich vor und strich leicht mit den Fingerkuppen über Dareks Kinn. Dann über die Wange. Schließlich berührte sie seine Lippen. Er verlor das Gleichgewicht, und in seinem Bemühen, nicht nach hinten zu kippen, packte er Hanka an den Schultern. Sie küssten sich. Zum fünften Mal. Nein, eigentlich zum fünfeinhalbten Mal, rechnete Darek aus. Es erfüllte ihn mit freudigem Erstaunen. Wenn man jemanden schon fünfeinhalb Mal geküsst hatte, dann bedeutete das schon etwas. Er wusste zwar nicht, was, aber man konnte jedenfalls annehmen, dass sich Hanka beim Küssen mit ihm nicht langweilte. Wahrscheinlich machte es ihr sogar Spaß.
    Er balancierte in der Hocke auf den Zehenspitzen und versuchte, die Augen offen zu lassen. Denn wichtig war ja nicht nur, den Augenblick wahrzunehmen, sondern ihn auch für später zu speichern. Für die Zeit vor dem Einschlafen, wenn es nötig würde, sich jede Einzelheit wieder zu vergegenwärtigen. Dadurch wurden die Momente mit Hanka geklont. Aus einem wurden Hunderte weitere, alle gefüllt mit wichtigen Details.
    Jetzt zum Beispiel kreiste eine Bremse über ihrem Kopf und verschwand wieder. Sie hob die Augenbrauen. Jetzt blinzelte sie und Darek