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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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Fische.
    Â»Wenn sie tot ist, bringe ich mich auch um.«
    Herr Havlik sah erschrocken zu ihm hoch. Er hatte aufgehört, im Tee zu rühren, und hielt den Löffel über die Tasse, damit er abtropfte. Jetzt legte er ihn langsam auf den Tisch. Seine Hand zitterte.
    Â»Red keinen Blödsinn«, ermahnte er Darek grimmig. »Und mal den Teufel nicht an die Wand. Warum sollte sie tot sein? Wie sollte sie deiner Meinung nach gestorben sein?«
    Â»Das ist doch egal, wie!«, stieß Darek hervor. »Das spielt keine Rolle! Wenn nur nicht …« Er fühlte einen beklemmenden Schmerz unter dem Adamsapfel, konnte kaum atmen. Der Stuhl, den er krampfhaft umklammerte, hielt dem Druck seiner Hand nicht stand und kippte um. Darek beugte sich vor und richtete ihn wütend auf. Beide Geräusche, der Fall des Stuhls und das Aufstellen auf den Fliesen, verursachten in der nächtlichen Stille einen ohrenbetäubenden Lärm. Er hörte, wie sich die Schallwellen im Haus verbreiteten und gegen die Wände prallten. Darek erstarrte. Er hatte Angst, dass Ema wach wurde. Das wollte er nicht – immer wenn sie mitten in der Nacht aufwachte, war sie schlecht aufgelegt und den Tränen nahe. Dann müsste er sie beruhigen, vielleicht sogar leise Mundharmonika spielen und bei ihr sitzen bleiben, bis sie wieder eingeschlafen war. Er horchte einen Moment, aber Stille machte sich wieder breit.
    Â»Was auch immer mit ihr ist, ich bin schuld daran«, fuhr er fort, diesmal beinahe flüsternd. »Wenn ich sie nicht gesattelt hätte und auf die Wiese geritten wäre, oder wenn ich auf Sie gewartet hätte, wäre nichts passiert.«
    Â»Aber du hättest nicht vor Hanka angeben können.«
    Â»Ich wollte nicht angeben.«
    Herr Havlik lächelte süß. »Quatsch, Junge! Es war nichts anderes als das.«
    Erst verspürte Darek den Drang, zu widersprechen, doch dann überlegte er es sich anders. Zwischen Angeberei und dem, was er gemacht hatte, war nur ein winziger Unterschied. Allerdings für ihn ein wesentlicher. Um den zu erklären, hätte er seine Beweggründe offenlegen müssen. Seinen brennenden Neid gegenüber Roman-Romeo, Krokants geheime Ratschläge, den zauberhaften Augenblick auf dem Strohballen, das Vertrauen, mit dem Hanka sich das T-Shirt ausgezogen hatte, ihren Orangenduft, die Küsse, das bisher ungekannte glückliche Gefühl. Nichts davon konnte und wollte er laut aussprechen. Es hätte seinen Zauber verloren.
    Â»Du hast getan, was du tun musstest, und die Stute hat auch nur das getan, was in ihrer Natur lag. Sie und du, ihr habt eure Wege in einem Augenblick gekreuzt, der für Ereignisse bestimmt war. Er-eig-nis-se, verstehst du?«, erklärte Herr Havlik eindringlich. »Weißt du, was ich damit sagen will?«
    Â»Klar weiß ich das«, bejahte Darek.
    Â»Was denn?«
    Â»Dass ich eine Mattscheibe habe. Ich kann mir nicht ausrechnen, was passieren wird. Ich habe die Dinge nicht unter Kontrolle.«
    Â»Ereignisse kann man nicht im Voraus berechnen. Und auch nicht kontrollieren. Sie sind plötzlich da. Sie bringen uns irgendwohin, geben uns etwas, fordern etwas ein. Sie verändern uns. Das ist ihr Sinn.«
    Herr Havlik trank den Tee aus, warf sich die Brottasche über die Schulter und griff nach der Krücke. Er sah erschöpft aus. Im Gegensatz zu Darek. Die Angst um das Schicksal der Stute schob alle körperlichen Wahrnehmungen in den Hintergrund.
    Â»Wollen Sie sich nicht bei uns ins Wohnzimmer legen?«, fragte er. »Sie werden doch nicht im Dunkeln nach Hause gehen.«
    Herr Havlik blickte zur Uhr hoch.
    Â»Ich gehe an der Straße entlang. Die Laternen brennen noch bis halb eins, bis dahin bin ich zu Hause. Wenn was passiert … ich meine, wenn du etwas brauchst, ruf einfach an«, sagte er. So wie er Darek ansah, war klar, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte, aber nicht wusste, ob er damit herausrücken sollte.
    Â»Jedenfalls bist du kein größerer Hohlkopf als ich«, murmelte er schließlich. »Weißt du, wieso ich nach der Amputation hier in meinem unkomfortablen Haus geblieben bin? Ein Krüppel ohne Bein – in den Bergen? Weißt du, wieso ich nicht zu meiner Tochter nach Ostrawa gezogen bin? Sie hat es mir angeboten. Ich hätte bei ihr ein Zimmer mit Balkon gehabt, ich hätte mich nicht um Brennholz kümmern müssen, sie hätte für mich gekocht

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