Orangentage

wie gut das geht«, lobte Darek sie. »Braves Mädchen!«
    Mit jedem zurückgelegten Meter spürte er größere Ruhe und Sicherheit. Er beschloss, die Stute durch die Hecke laufen zu lassen, da, wo sie Lücken hatte, um danach die leicht ansteigende Raue Wiese zu nehmen. Gerade wollte er sie mit dem inneren Zügel stellen, als sich der Busch, den sie passierten, plötzlich bewegte. Noch bevor Darek begriff, was los war, sprang Kirke aufgeschreckt zur Seite. Aus dem Unterholz schoss ein Langohr hervor, ein dunkelbrauner, ziemlich kleiner Märzhase. Er rannte zwischen den Beinen der Stute hindurch, die Ohren angelegt, schlug einen Haken, dann kreuzte er nochmals ihren Weg und sprang zurück ins Gebüsch, wobei er die Grashalme und Zweige in wilde Bewegung brachte. Diesmal sprang Kirke nicht zur Seite, sondern startete plötzlich durch. Der mäßige Trab verwandelte sich im Nu in Galopp.
    Â»Hooo!«, rief Darek, lehnte sich nach hinten, so weit er konnte, und suchte Halt in den Steigbügeln. Kirke untersetzte ein wenig die Hinterbeine, ansonsten schenkte sie seinen unbeholfenen Versuchen, sie anzuhalten, keine Aufmerksamkeit. Sie jagte immer wilder dahin, und auch als er sie fast am Maul fasste, reagierte sie nur damit, dass sie sich auf die Zügel legte. Vom braven Mädchen keine Spur.
    Â»Ho! Hooo! Hoooo! Bist du taub? Bleib stehen!«, schrie Darek über ihrem Hals.
    Die Stute galoppierte immer schneller. Die Muskelbewegungen unter dem Sattel wurden rhythmisch, waren nicht mehr unangenehm, sondern fließend. Und so auch alles Übrige. Jede Kurve, jede Linie ihres Körpers offenbarte auf einmal eine Ordnung und eine noch größere Schönheit. Sie war wie ein schwarzer Tornado. Unbändige Freude durchflutete Darek. Wie konnte er nur annehmen, dass Kirke sich mit Arbeitstrab begnügen würde? Sie war ein Pferd für den Sprint! Herr Havlik ist nicht doof, dachte er anerkennend. Der warme Wind fuhr ihm ins Gesicht, blies ihm unter das T-Shirt, sauste um seine Ohren. Darek schnappte nach Luft vor Aufregung, so etwas hatte er bisher noch nicht erlebt. Es ist wahr, Pferde sind Engel – auch die wahnsinnigen! Und wenn sie uns auf den Rücken nehmen, fliegen wir mit ihnen kopfüber bis …
    Zu weiteren dichterischen Höhenflügen kam er nicht. Kirke durchbrach die Absperrung der Rauen Wiese, sprang über den Graben, der die Wiese vom Nachbarfeld trennte, und raste zum Wald. Die Zügel glitten Darek durch die Hände und er fühlte, dass er kurz davor war, das Gleichgewicht zu verlieren. Er versuchte sich noch an der Mähne festzuhalten, aber es war zu spät. Seine Füße rutschten aus den Steigbügeln, er flog aus dem Sattel, landete im Kartoffelfeld und sein Gesicht bohrte sich in die Erde. Sie war warm. Er fühlte, wie die Ohnmacht nach ihm griff, er versuchte sich zu wehren … vergeblich … und in immer dichteren Nebel versinkend, ertönte aus seiner Mitte eine Stimme.
    ***
    Was machst du hier, Söhnchen?«
    Â»Bist du das, Mama?«
    Ich muss nicht fragen. Niemand sonst nennt mich Söhnchen. Ich mag die Anrede, aber nur, wenn wir alleine sind. Vor Leuten ist mir das peinlich. Es kommt mir zu gefühlsbetont vor. Und altmodisch.
    Â»Wieso haben wir uns so lange nicht gesehen, Mama?«
    Â»Ich war tot für dich.«
    Â»Jetzt nicht mehr?«, wundere ich mich. »Kann man etwa damit aufhören?«
    Â»Ich habe nicht damit aufgehört, du bist zu mir gekommen.«
    Â»Bin ich auch gestorben?«, frage ich und erstaunlicherweise erschreckt es mich nicht. Wenn das hier der Tod ist, ist nichts zu befürchten. Ich fühle mich gut, bin froh, Mutter nach langer Zeit wiederzusehen. Sie sieht wie früher aus, wie in der Zeit vor ihrer Krankheit. Sie hat ihr blaues Kleid an, die Haare fallen ihr über den Rücken. Das Gesicht, Hals, Arme sind glatt, ohne blaue Flecken, ohne Pflaster. Nirgendwo kann ich Kanülen, Schläuche, Infusionspumpen oder eine Herz-Lungen-Maschine sehen.
    Â»Du bist nicht gestorben, du musst bald zurück«, sagt sie zu mir.
    Â»Warum? Kann ich nicht bei dir bleiben?«
    Mutter schüttelt den Kopf. Sie lächelt nicht, hat aber diesen Ausdruck in den Augen, den ich gut kenne und von dem ich weiß, was er bedeutet. Sie hatte diesen Ausdruck immer, wenn sie uns alle um sich hatte, Ema, Vater und mich.
    Â»Aber ich weiß nicht, ob ich