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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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auch – du wüsstest, welche – und ein paar Brote. Pack alles in einen Rucksack, ich komme in zwanzig Minuten vorbei … Ach ja, und noch was!«
    Â»Was?«
    Â»Du sollst Kaffee kochen. Den wollte ich eigentlich machen, aber er hat gesagt, ich soll mich ausstopfen lassen. Bier zapfen, ja, das kann ich, hat er gesagt, aber so eine Brühe, die die Toten aufweckt, das könntest du wohl besser.« Er zwinkerte und lächelte Darek an. »Du sollst ordentlich Zucker reintun, wie üblich.«
    Darek nickte eifrig. »Ich tu sechs Löffel Zucker rein, so wie er es mag!«
    Der beklemmende Schmerz unter dem Adamsapfel hatte sich wie durch ein Wunder aufgelöst, auf einmal konnte er wieder ohne Schwierigkeiten sprechen und atmen.
    Â»Soll ich nicht noch eine Mohrrübe für Kirke dazupacken?«
    Â»Gute Idee«, lobte ihn Herr Mihule. »Also, bis gleich!«
    Er kehrte zu seinem Motorrad zurück, klappte den Ständer hoch und schob es aus dem Hof. In der nächtlichen Stille war das Rauschen der Reifen zu hören, als er, ohne den Motor anzulassen, den Berg hinabfuhr.
    ***
    Die Stute tauchte unter und wieder auf. Ihr Körper schaukelte auf den Wellen und konnte ihnen keinen Widerstand leisten. Das Wasser war trübe. Nur ein dünner Streifen Landschaft trennte es vom tief hängenden Himmel. Darek wurde klar, dass dies kein Bach war, schon gar nicht hier, unter dem Sägewerk, wo auch im Frühling, während der Schmelze, die grauen Steine herausragten, an denen Zweige und Blätter hängen blieben. Herr Mihule hatte sich geirrt: Das hier war ein Fluss. Breit und anscheinend auch tief, wenn ein Pferd darin frei und ungehindert schwimmen konnte. Darek sah, dass sich der Hals und der Kopf der Stute bewegten, aber der Rest des Körpers war steif, die Beine krampfhaft gestreckt.
    Â»Kirke!«, rief er ihr vom Ufer zu. »Kirke, bist du das?«
    In dem Augenblick trieb der Strom den Körper näher zu ihm heran. Darek erblickte die schwarze Mähne, das Halfter, die offenen Augen. Wasser strömte über sie hinweg. Er begriff, dass sie ihn nicht sehen konnte, dass sie gar nichts sahen. Es war Kirke. Aber sie war ertrunken.
    Â»Warte!«, schrie er in der sinnlosen Hoffnung, ihren Tod noch rückgängig machen zu können. »Ich bin gleich bei dir!«
    Ohne zu überlegen, sprang er in den Fluss und …
    Er wachte auf. Über seinem Kopf sah er den Dachbalken, vor sich das Fenster, hinter dem Fenster die alten Buchstaben. FORTSCHRITT. Er lag in seinem Zimmer. Am Bettrand saß Ema.
    Â»Steeeht aauuf, Schlaaaf-müü-tzeeen, eees iist Mooor-geen!« Sie zog die einzelnen Silben des Morgenliedes, das ihr die Mutter beigebracht hatte, in die Länge. Dabei wippte sie vor und zurück, wie immer, wenn ihr langweilig war. »Wiiischt euch deen Schlaaaf aus deen Auu-geeen …«
    Darek fielen die Augen wieder zu. Die Kälte des Flusses umklammerte ihn, vor ihm schaukelte der Pferdekörper in den Wellen. Er öffnete schnell wieder die Augen und richtete sich mit einem Ruck auf. Auf dem Stuhl sah er das Häufchen zusammengeknüllter Kleidung, die er in der Nacht ausgezogen hatte. Plötzlich war alles wieder da: die Stunden in der Küche, das Löffelrühren in der Tasse, die Befürchtungen und der beklemmende Schmerz unter dem Adamsapfel, die Angst. Dann endlich die freudige Botschaft, Kaffeekochen und schließlich der befreiende Fall ins Bett und augenblicklicher Schlaf. Warum hatte sich die Freude im Traum in Schrecken und Trauer verwandelt? Sollte das vielleicht eine Warnung sein? Was war inzwischen passiert?
    Er blinzelte zu Ema hinüber. Sie war im Pyjama, auf ihrem Schoß saß der Eisbär. Beide sahen verwuschelt aus, beide waren barfuß. Ema hatte mit dem Singen aufgehört und wischte sich ordentlich die Nase am Ärmel ab.
    Â»Ich habe«, murmelte sie dabei, »rat mal, was?«
    Â»Schnupfen?«
    Â»Nei-ein.«
    Â»Also, was?«
    Â»Rat mal!«
    Â»Sag’s mir.«
    Â»Ich habe Hunger«, sagte sie.
    Â»Ist Papa zu Hause?«
    Ema zuckte mit den Schultern. Sie ging nicht gern alleine durchs Haus. Wenn sie aufs Klo musste und alle noch schliefen, beeilte sie sich so sehr, dass sie auf den Treppen fast immer hinfiel.
    Â»Machst du lecker Honig?«, fragte sie. Am liebsten trank sie warme Honigmilch zum Frühstück. Allein konnte sie sie nicht warm machen, der Herd

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