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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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beobachtet.
    Â»Warum machen wir keinen Ausflug?«, wimmerte Ema.
    Darek seufzte. Er entschied, es ihr zu erklären. In kurzen, verständlichen Sätzen, damit sie es verstand und endlich aufhörte zu heulen.
    Â»Weißt du, es ist mir zu spät eingefallen. Du hast den rechten Schuh gesucht. Der Zug ist weggefahren«, sagte er langsam. »Eigentlich hätten wir jemanden besuchen sollen.«
    Â»Wen denn?«
    Â»Die Leute im Familienzentrum.«
    Â»Was ist das?«
    Â»Das ist da, wo du immer mit Mama zum Turnen hingefahren bist. Wo die Spiele herkommen.«
    Â»Die Feinde?«
    Er nickte. Die Gespräche mit Ema verliefen nie gerade auf den Punkt. Sie verirrten sich immer in krummen Nebengässchen.
    Â»Aber das wird nicht klappen.« Er kam wieder zur Hauptsache zurück. »Den Zug haben wir verpasst, und Papa ist nicht zu Hause, verstehst du?«
    Ema nickte langsam und widerwillig.
    Â»Also fahren wir ein anderes Mal«, schloss er die Diskussion ab. »Da kann man nichts machen.«
    Â»Warum?«
    Â»Darum! Weil keiner da ist, der uns hinfährt!«, rief Darek, der am Ende seiner Geduld war. Ohne hinschauen zu müssen, spürte er, dass die Frauen im Dorfladen die Köpfe zusammensteckten. »Wir haben sonst niemanden.«
    Â»Doch, haben wir.«
    Â»Wen denn?«
    Â»Marta.«
    Darek stockte. Ema sprach seinen eigenen Gedanken laut aus. Nun konnte er ihn nicht mehr ignorieren, er musste sich damit befassen.
    Â»Marta kann nicht.«
    Â»Wieso?«
    Â»Sie ist bei der Arbeit, auf der Post«, sagte er.
    Es war eine klare, wahre Antwort, gegen die man nichts einwenden konnte. Ema senkte den Kopf und schwieg. Sie begriff und nahm die Tatsache hin, dass der Ausflug nicht stattfinden würde. Sie ist vernünftiger als ich, fiel es Darek plötzlich ein. Sie kann sich damit abfinden, was man nicht ändern kann. Ich nicht. Weil ich überzeugt bin, dass man es ändern könnte.
    Â»Komm!« Er gab Ema die Hand und lief auf die Post zu. Das Gitter vor der Eingangstür war geöffnet. »Wir gehen zu ihr.«
    Ema machte große Augen. »Auf die Post?«
    Normalerweise machten sie immer einen Bogen um die Post. Auch wenn Ema bettelte, weil sie Marta ein Bild oder ein Kunstwerk aus dem Werkunterricht gern zeigen wollte, ließ sich Darek nicht umstimmen. Er wollte nicht, dass Ema Marta hinterherlief , dass Marta sie lobte, sich über Emas schmuddeligen Osterhasen oder die schiefe Prinzessinnen-Papierkrone begeistert zeigte. Er wollte nicht, dass Marta sie zu sich hinter den Schalter nahm und sie Aufkleber und Stempel anschauen ließ. Er tat alles, damit sie sich nicht näherkamen. Eifersüchtig bewachte er die Distanz zwischen ihnen. Die sollte so groß wie möglich bleiben. Das war Mutters Raum, ein Gebiet, das Darek mit aller Kraft zu verteidigen bereit war. Und er verteidigte es auch – bis heute.
    Das Postamt befand sich im Rathausgebäude. Am Fahrradständer vor dem Eingang entdeckte Darek Martas Rad. Sie hatte es ziemlich weit zur Arbeit, sie wohnte nicht in der Ortsmitte, sondern etwas abseits, hinter der Bahnstrecke. Manchmal, besonders wenn es regnete, fuhr sie mit dem Auto. Heute hatte sie es zu Hause gelassen. Darek und Ema betraten den engen Gang mit der Päckchenwaage und den Schließfächern. Von hier aus sah man den Schalter schon. Ein älterer Mann mit einer Einkaufstasche auf Rollen stand davor und aus der Tasche guckte ein kleiner weißer Spitz heraus.
    Â»Auf meinen Namen«, sagte der Mann gerade zu Marta. »Ein Einschreiben. Es liegt seit einer Woche hier. Ich war weg und konnte es nicht früher abholen.«
    Marta stand mit dem Rücken zu ihnen, suchte den Brief im Regal. Wir haben noch Zeit, zu verschwinden, dachte Darek. Ema würde zwar protestieren, aber ihm würde schon eine Erklärung einfallen. Da hatte Marta die gesuchte Sendung schon in der Hand.
    Â»Hier ist es«, sagte sie. »Sie unterschreiben die Empfangsbe…«
    Marta wandte sich um. Sie verstummte mitten im Satz und erstarrte. Darek war vollkommen verblüfft. Ohne die grimmige Maske oder den schnippischen Zug um die Lippen, wie er sie sonst kannte, sah sie ganz scheu aus.
    Â»Ist was passiert?«, fragte sie mit unverhohlener Angst in der Stimme.
    Â»Wir haben den Zug verpasst«, antwortete Ema. »Um eine Minute. Oder um zwei.«
    Â»Welchen Zug?«
    Â»Um zum Besuch zu fahren. Da, wo man

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