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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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steckte er die Finger hinein und dann die ganze Faust. Er spürte, wie die restlichen Nähte platzen. »Scheiße, was machen wir jetzt, verdammt?«
    Â»Wir werden scheißeverdammtnochmal zu Fuß gehen«, schlug Ema vor.
    Darek blickte sie entgeistert an. »Wie bitte?«, schoss es aus ihm heraus.
    Â»Wir werden scheiße…«
    Â»Fluche nicht!«, wies er sie mit Mutters Ton zurecht. Fluchen und vulgäre Ausdrücke hatte er für sich reserviert, bei Ema kamen sie nicht infrage. »Zu Fuß können wir nicht gehen. Es ist zu weit.«
    Â»Wie weit?«
    Â»Zu weit eben«, murrte er. »Das würdest du nicht schaffen.«
    Â»Würdest du es schaffen?«
    Darek antwortete nicht. Er hatte keine Kraft, sich mit ihr zu unterhalten, wenn an seinen Eingeweiden das Gefühl der Niederlage nagte. Zusammen mit dem verpassten Zug lösten sich auch alle anderen Pläne und Möglichkeiten in Luft auf. Ihm blieb nichts anderes übrig, als es sich einzugestehen. Sie würden einfach heimkehren. Frühstück machen. Darek würde im Familienzentrum anrufen und einen neuen Termin vereinbaren. Ihm kam die Idee, sich nur mit dem Nachnamen zu melden und mit einer möglichst tiefen Stimme zu sprechen, langsam und bedächtig. Sie würden denken, er sei der Vater. Ja, das war eine gescheite Lösung. Er würde sagen, dass er eine Arbeit gefunden habe und nicht kommen könne. Da wär nichts Unwahrscheinliches dabei, sie würden es ihm glauben. Was aber, wenn sie jemanden schickten, um es zu überprüfen? Wenn Frau Kotschi wieder auftauchte, im Dorf herumfragte und jemand von den Nachbarn ihr alles verklickerte – auch von der Stute im Bach und von der Feuerwehr? Was, wenn sie herausfand, dass Darek gelogen hatte?
    Â»Würdest du es schaffen?« Ema verlangte nach einer Antwort.
    Â»Nein«, sagte er knapp und machte kehrt. »Komm!«
    Â»Wohin?«
    Â»Heim, wohin sonst!«
    Â»Ich will einen Ausflug machen!«
    Sie hielt ihn hinten am Hemd fest, damit er stehen blieb. Er blieb nicht stehen. Er kehrte zurück zum Dorf und zog sie hinter sich her, wie ein widerspenstiges Hündchen. Das Hemd spannte auf seiner Brust und ein Knopf rutschte aus dem Loch.
    Â»Lass mich los!«, rief er über die Schulter.
    Â»Aus-flug«, antwortete sie.
    Darek lief langsamer. Wenn Ema sich etwas in den Kopf gesetzt hatte und darauf bestand, packte ihn meist die Wut. Diesmal fühlte er eher Müdigkeit. Er sah sich um.
    Â»Lass es«, sagte er über die Schulter. »Du verknitterst mein Hemd.«
    Â»Ich will …«, fing sie wimmernd wieder an, aber Darek hörte ihr nicht zu. Er konnte nicht. Er war absolut gelähmt von dem Gedanken, der ihm plötzlich kam und ihm nicht nur durch den Kopf schoss, sondern auch durch den ganzen Körper. Es tat weh, als hätte er an einen elektrischen Zaun gepackt. Er hielt den Atem an und senkte den Blick zu seinem Hemd. Dort war der Gedanke gekeimt: Es war sein einziges anständiges Hemd. Das letzte Mal hatte er es bei der Zeugnisvergabe getragen. Nachmittags hatte er es mit Eistorte bekleckert, die Anton mitgebracht hatte. Jetzt war das Hemd wieder sauber, um die Manschetten hatte es ordentlich aufgebügelte Falten. Darek wusste nicht, wann Marta es gebügelt hatte. Sie musste es irgendwann am späten Abend getan haben, als er bereits schlief. Ähnlich wie weitere Arbeiten in ihrem Haushalt. Auf einmal stellte Darek sich diese nächtlichen Stunden vor. Heimlich, verschwiegen wischte sie Staub im Wohnzimmer. Legte eine Tischdecke auf den Tisch. Backte einen Strudel oder einen Hackbraten. Natürlich machte sie auch andere Sachen – mit Vater. Sachen, wegen derer Darek sie hasste und sich Gemeinheiten ausdachte, um sie zu beleidigen, so unverzeihliche, damit sie nie mehr zu ihnen kam. Aber sie kam immer wieder. Ob es ihm gefiel oder nicht, er gewöhnte sich langsam an ihre Hilfe. Er fing an, sich auf sie zu verlassen, sie in sein Leben zu lassen. Es war ein beschämendes Gefühl – als beginge er an Mutter Verrat.
    Â»Warum-warum-warum-waaah-ruuum!«
    Emas Geschrei riss ihn aus den Gedanken. Er drehte sich zu ihr um. Ihre Nase lief, ihr Mund war vor Unmut verzerrt.
    Â»Warum was?«, fragte Darek gedämpft, er wollte kein Aufsehen erregen. Aber sie wurden bereits von Frau Gajdoschikova und zwei weiteren Nachbarinnen durch die geöffnete Ladentür

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