Orangentage
Tschechisch eignete sich überhaupt nicht für Liebeserklärungen. Es war leer gehört, zu wenig feierlich, zu alltäglich â so wie jede Muttersprache. Darek dachte manchmal, dass englische Muttersprachler eigentlich bemitleidenswert waren. Welche Möglichkeiten boten sich ihnen, um auÃergewöhnliche Gefühle auszudrücken? Machten sie Liebeserklärungen auf Spanisch? Oder bedienten sie sich der Gebärdensprache? Wie würde Hankas Frage in Blindenschrift aussehen? Und wie wohl Dareks Antwort, die er jetzt eilig tippte und sich dabei vorsichtig umschaute, ob ihn jemand beobachtete?
I canât be without you, my  ⦠Eine Weile zögerte er, schlieÃlich tippte er die einzige Anrede, die infrage kam, weil sie ausdrückte, was er fühlte: ⦠my love!
Er schickte die Nachricht an Hankas Nummer und löschte sie sogleich wieder. Simon war zwar kein Tratschmaul, auÃerdem wohnte er nicht in Piosek, sondern in einem Nachbardorf und er kannte Hanka möglicherweise gar nicht, aber Darek achtete trotzdem auf seine Privatsphäre und stellte seine Gefühle äuÃerst ungern zur Schau.
»Danke. Du hast was gut bei mir.«
Simon winkte ab und tippte auf sein Handy ein.
»Du kannst auch eine Mail schicken, wenn du willst, ich habe oben ein Laptop«, sagte er, wieder vertieft in Kane & Lynch.
Darek zapfte kaltes Wasser in einen Becher, und während er es in kleinen Zügen trank, ging er aufs Zimmer. Sich aufs Bett zu legen und die Freizeit mit Ausruhen zu verbringen, war das Vernünftigste, was man wohl machen konnte. Als er jedoch die Zimmertür öffnete, kam ihm so ein stickiger Wärmeschwall entgegen, dass er nach Luft schnappen musste. Die Fenster waren geschlossen, die Jalousien zugezogen, und obwohl die Sonne schon hinter der Hausecke verschwunden war, lieà die Hitze nicht nach. Lukas und Jaromir, Dareks Mitbewohner, lagen wie erschlagen auf den Betten.
»Aufstehen, meine Herren!«, äffte Darek den Trainer nach. »Geknackt wird zu Hause!«
Aus Lukasâ Bett antwortete ihm ein Schnaufen, aus Jaromirs Richtung kam ein Schimpfwort. Aber auch das war ausgedörrt, ohne rechten Schwung.
Darek nahm sein Handtuch und kehrte in den Gang zurück. Er entschloss sich, in den Waschraum zu gehen und so lange die kalte Dusche auf sich einprasseln lassen, bis er frösteln würde. Dann würde er unten im Imbiss eine eiskalte Cola kaufen, um sich vor dem Abendtraining zu mobilisieren.
Das nicht allzu üppige Taschengeld, das ihm Vater mitgegeben hatte, war inzwischen bedenklich knapp geworden. Darek gab es überwiegend für Eis oder Cola aus, einmal konnte er nicht widerstehen und genehmigte sich bei einem gemeinsamen abendlichen Ausflug in das nahe Städtchen Vidnava zusammen mit den anderen eine Pizza. Sie aÃen sie im Biergarten vor dem Restaurant, schoben zwei Tische zusammen, unterhielten sich fröhlich, lachten laut und machten absichtlich viel Lärm, um den verschlafenen Platz wachzurütteln. Allen war klar, dass es einer ihrer letzten Ferienabende war. Bald würden sie nach Hause zurückkehren, die Schule würde losgehen und der Sommer bald vorbei sein.
An dem Abend lieà sich Darek sogar dazu überreden, seine Mundharmonika herauszuziehen und ein kleines Repertoire zu präsentieren. Das Mädchen, das im Restaurant bediente, ermahnte sie, ruhiger zu sein, aber es war deutlich, dass sie nur dem Befehl des Chefs folgte und ihr selbst der Lärm nichts ausmachte. Sie hatte ein Piercing auf der Augenbraue. Darek sah sie an und dachte an Hanka. Es tat ihm leid, dass sie nicht hier bei ihm sein konnte, aber gleichzeitig war ihm bewusst, dass die Augenblicke, in denen sie getrennt waren, auch eine Bedeutung für sie hatten. Diese Augenblicke unterlagen besonderen physikalischen GesetzmäÃigkeiten. Dadurch, dass sie einander nicht sehen oder berühren konnten, schien es, als würden sie sich näherkommen. Es gab keine Logik dahinter, aber er empfand es so. Hanka war ihm so deutlich vor Augen, dass er sich jederzeit bis ins kleinste Detail ihre Augen, ihre Bewegungen, ja, sogar ihren Orangenduft vorstellen konnte. Nur die Stimme entzog sich der genauen Erinnerung. Darek beschloss deshalb, dass, wenn sie die ersten Pferde verkauft haben würden (ungern, aber er hatte sich damit abgefunden, dass Krokant und Kirke schon bald den Besitzer wechseln würden), er sich für seinen
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