Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
Vom Netzwerk:
Anteil ein Handy kaufen würde. Dann könnte er die ganze Hanka auch in der Ferne haben.
    Der Waschraum war am Ende des Ganges. Es roch nach Desinfektionsmittel, aber dank der verdunkelten Fensterscheiben hatte sich die Hitze dort nicht so ausgebreitet wie in den Zimmern. Darek zog sich schnell aus, wählte die Kabine ganz in der Ecke, stellte sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Er schloss die Augen und ließ genüsslich das Wasser auf Kopf, Nacken und Schultern prasseln. Zuerst war es lauwarm, abgestandene Reste aus den Rohren, bald aber begann es angenehm zu kühlen. Darek bot dem Wasser die Stirn, massierte es sich in die Haare, nahm einen großen Schluck und ließ es wieder aus dem Mund heraussprudeln. Die Müdigkeit fiel schnell von ihm ab. Wie ein Generator kam er sich vor – jeden Wassertropfen wandelte er in Gigawatt Energie um. Er käme erst heraus, wenn seine Zähne klapperten und ihm die Kühle bis in die Knochen drang. Nur so würde die Erfrischung andauern. Und wenn er das abendliche Spiel locker angehen ließ und nicht auf hundert Prozent lief, würde er heute vielleicht nicht einmal mehr richtig schwitzen.
    Die Tür des Waschraumes ging auf und wieder zu, Darek hörte Schritte auf den Fliesen. Jemand trat ans Fenster und öffnete es. Dann war das Ratschen eines Feuerzeugs zu hören, ein lautes Ausatmen: Einer der Jungs kam heimlich zum Rauchen her. Darek schob den Duschvorhang ein wenig zur Seite. Im Spalt erschien das offene Fenster und ein Streifen Rauch, der faul in der reglosen Luft schwebte. Das Gesicht des Rauchers sah Darek nicht, seinen Oberkörper auch nicht – die dunkle Fensterscheibe verdeckte ihn –, dafür erkannte er seine Unterschenkel sofort. Die vom Sand aufgeschürften Schienbeine waren mit Jod eingesprüht, auf beiden Knien strahlte ein weißer Verband mit Pflaster.
    Darek zog angewidert den Vorhang zu. Hugo verdarb wieder alles, wie gewöhnlich. Das wonnige Gefühl war dahin. In Hugos Anwesenheit war Darek immer in Habachtstellung. Noch vor einem Augenblick hatte er sich gefreut, unterm Wasserstrahl zu stehen, bis ihn die Kälte schütteln würde, jetzt musste er unter der Dusche bleiben, ob er wollte oder nicht. Er überlegte, wie lange es wohl dauerte, eine Zigarette zu rauchen. Drei Minuten? Vier? Und wenn sich Hugo eine zweite anzündete? Dann müsste Darek doppelt so lange aushalten. Er würde statt kaltem warmes Wasser laufen lassen und … Und was, wenn er einfach herauskäme? Würde Hugo eine Schlägerei anfangen? Würde er sich auf ihn stürzen? Dass er ihm Saures geben wollte, war vom ersten Tag an klar, Hugo suchte ständig nach einer passenden Gelegenheit. Hier im Waschraum drängte sie sich sogar auf. Einen Schlüssel gab es hier zwar nicht, aber wenn sie etwas unter die Türklinke klemmen würden, damit sich die Tür von außen nicht öffnen ließ, könnten sie sich hier gegenseitig verschrotten. Sogar töten könnten sie einander, wenn ihnen daran gelegen wäre. Ohne Probleme.
    Das Wasser prasselte in gleichmäßigem Strom auf Dareks Kopf, doch er schöpfte keine Kraft mehr daraus, kein Quäntchen Energie. Die Aussicht auf das Bevorstehende ermüdete ihn im Voraus. Er war vom ständigen Kämpfen mit Hugo erschöpft. Es löste nichts. Einmal gewann Darek, einmal Hugo, es wechselte sich ab. Darek wollte dem ein Ende setzen. Aber wie? Konnte man einen Strich unter eine Feindseligkeit setzen, die sich schon so lange hinzog? Es war bald drei Jahre her, dass Darek seinen wütenden Knoten gemacht hatte. Er hatte ihn so fest gebunden, dass ihn niemand jemals lösen konnte. Nur durchschneiden konnte man ihn – so wie Alexander den Gordischen Knoten. Aber würde es helfen?
    ***
    Weihnachten naht. Man kann es nicht übersehen: am Schwarzen Brett in der Schule, in der Kirche, bei Frau Gajdoschikova im Laden, hinter den Fenstern mit den Adventskerzen und auch auf unserem kleinen Bahnhof, der mit einer Lichterkette aus Eiszapfen geschmückt ist. Noch mehr macht Weihnachten in Opawa auf sich aufmerksam und der Kern, der absolute Mittelpunkt von Weihnachten, ist das Einkaufszentrum Silesia. An einem frostigen Samstagnachmittag eilen wir dort hin – Mutter, Ema, ich und Hugo. Ich habe meine Handschuhe im Zug vergessen und kann es jetzt kaum abwarten, ins Warme zu kommen. Der Lichterglanz verheißt schon

Weitere Kostenlose Bücher